Bahn will den Nahverkehr drastisch ausdünnen

■ Verkehrsministerium sieht ab 2003 Einsparungen in Milliardenhöhe vor. Das bedeutet für manche Bundesländer Regionalverkehrseinschränkungen um 30 Prozent

Berlin (taz) – Verkehrsminister Matthias Wissmann gerät immer mehr auf die schiefe Bahn. Fast eine Milliarde Mark jährlich will er ab 2003 einsparen, indem er den Ländern durchschnittlich 13 Prozent weniger als bisher dafür überweist, daß sie den Schienennahverkehr organisieren. Das geht aus einem bahninternen Papier hervor. Darin informiert die DB-Konzernzentrale die Verantwortlichen in den Regionalbereichen vertraulich darüber, welche Verkehrsmengen in den einzelnen Bundesländern nach der Finanzkürzung noch zu erwarten sind. Zuvor hatten die Leiter der Außenstellen selbst Kürzungsvorschläge einreichen müssen.

Insgesamt 44,5 Millionen Zugkilometer weniger als bisher sollen innerhalb von vier Jahren gefahren werden, so das Ergebnis der Aufstellung. Die Stadtstaaten Berlin und Hamburg kämen fast ohne Abstriche durch. Doch insbesondere in den neuen Bundesländern rollten die Bahnkunden aufs Abstellgleis: In Sachsen sollen 34 Prozent weniger Nahverkehrszüge rollen, und auch in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ist ein Minus von fast 30 Prozent anvisiert. Brandenburg soll auf über elf Prozent seiner Nahverkehrszüge verzichten. „Das ist eine Kriegserklärung an die Bundesländer und eine verkehrspolitische Katastrophe“, kommentierte der bahnpolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Bundestag, Ali Schmidt, das Vorhaben. Ein Sprecher der Bahn wiegelte ab: Es handle sich „nicht um abschließende Planungen“, sondern um „mögliche Szenarien“.

Die neue Kürzungsvorgabe aus Bonn ist offenbar eine Reaktion auf die im Bahngesetz für dieses Jahr vorgeschriebene Überprüfung der Überweisungen vom Bund an die Länder. Offenbar ist es den Bundesländern noch einmal gelungen, die von Wissmann geplanten Streichungen von 725 Millionen Mark innerhalb von vier Jahren abzuwehren. Doch im Jahr 2002 wird die Wirtschaftlichkeit der Strecken erneut überprüft. Bei den verkehrspolitischen Rahmenbedingungen ist absehbar, daß dann vielerorts der Bus die Bahn überholen wird und Leute auf dem Land ohne Auto überhaupt nicht mehr wegkommen. Annette Jensen