Stille Tage mit Berti: „Mehr von außen!“
■ Herr Vogts und sein großer Freund verteidigen den deutschen Fußball
In seiner offensichtlichen Seelenqual hat sich ein englischer Journalist gestern an die höchste und letzte Instanz gewandt. „Herr Vogts“, ächzte er, „wie gewinnt man ein Elfmeterschießen?“
Die Deutschen haben bekanntlich bei Weltmeisterschaften noch jedes Elfmeterschießen gewonnen, zuletzt 1990 gegen die Engländer – und bei der EM 1996 wieder. Der Herr allerdings vermochte dem armen Mann keine Tips und noch nicht einmal gute Worte mit auf den harten Nachhauseweg zu geben. „Man kann das nicht trainieren“, sagte er erbarmungslos. Es sei vielmehr „eine Frage der Einstellung“. Als der Herr gesehen hatte, „wie die Engländer lachend zum Elfmeterschießen gegangen sind“, hatte der Herr „schon meine Bedenken“.
Es kam also, wie es kommen mußte. Man sei ehrlich: Nicht einmal Pierre Littbarski oder Olaf Thon hätten auch nur im Traum daran gedacht, vor dem Strafstoß zu lachen.
*Berti Vogts, man muß das leider annehmen, ist ein bisserl vergrätzt ob der Kritik, die alle Tage hereinprasselt, obwohl er doch mit dem Viertelfinaleinzug bei der Weltmeisterschaft ein Resultat geliefert hat, das ein Erfolg zu nennen ist, wenn man es nicht an den Ansprüchen mißt, sondern an der Qualität seines Teams. Schon bei der zweiten Frage schnappte er gestern zu – oder ein, je nachdem, wie man das sehen will. Es ist ja verständlich. Er, Vogts, kennt „viele“ Trainerkollegen, bei denen die Fußballer des DFB „hohes Ansehen“ genießen. Er, Vogts, weiß, was es bedeutet, in der Hitze von Montpellier „90 Minuten zu fighten“. Er, Vogts, muß sich ständig Vorwürfe der Medienschaffenden anhören, daß die Mannschaft nur gewinnt, sonst aber nichts zeigt. „Der eine oder andere“, fordert der DFB-Trainer deshalb, „sollte ein bißchen mehr nachdenken, wenn er im Schatten sitzt und hin und wieder Berichte abgibt.“
Der Mann muß sich vorkommen, als sei er umgeben von lauter Andreas Möllers. Nur einer von allen allerdings hat zur Entschuldigung seines auf dem Rasen nachgewiesenen Mangels an Nachdenken wenigstens die Sonne anzuführen. Vogts hatte Möller, Dortmund, zwar nach seiner Einwechslung gegen Mexiko „gesagt, was er machen soll“. Nun vermutet er, daß Möller, Dortmund, es „wegen der guten Stimmung im Stadion nicht gehört“ hat. Ein Hörproblem also? Oder sollte es daran liegen, daß Möller, Dortmund, sich eh nichts merken kann? Deswegen, wie jeder weiß, haben ihn die anderen Profis auch aus ihrer Schafkopfrunde entfernen müssen. „Andreas Möller ist entgültig gescheitert“, hat Günter Netzer gesagt. Der hat gut reden. Erstens sitzt er im Schatten, zweitens hat er wahrscheinlich keine Ahnung, wie schwierig Schafkopfen eigentlich ist. Eines muß man ihm zugute halten: Wenigstens lacht er nie.
*Was die Medienschaffenden und ihre Kritik an der fehlenden Ästhetik betrifft, so sollten sie nicht vergessen, daß Vogts' größter Freund ihnen vor WM- Beginn gedroht hat, ihr Ouvre genauestens auf ungerechte Behandlung des DFB-Trainers zu untersuchen. Nach allem, was die Quelle Graf Nayhauß vertraulich berichtet, liegen die beiden noch immer genau auf einer Linie. „Nach wie vor“, sagt Vogts, „bin ich nicht zufrieden mit den Außenpositionen.“ Helmut Kohl, Bundeskanzler, analysierte beim Fernsehstudium des Spiels gegen die Mexikaner: „Mehr von außen und hoch reinflanken.“ Ob einst in Ludwigshafen oder übermorgen in Lyon – nicht jener utopistische Schnickschnack, den Gerhard Schröder einst programmatisch zu Papier brachte, ist Fußball. Nach wie vor gilt, und Dank dafür dem Pointen- Grafen: Alles wird gut, wenn einer die Birne hinhält. pu
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