Mit Tempo 30 durch Deutschland

Vier von fünf Bundesbürgern wollen mehr Tempo-30-Zonen – nur die Regierung zieht nicht mit. VCD übergab 75.000 Unterschriften für flächendeckendes Tempo 30  ■ Von Matthias Urbach

Berlin (taz) – Es war eine Demonstration der anderen Art, die der alternative Verkehrsclub VCD gestern in der Bonner Museumsmeile organisiert hatte. Ein dunkelgrüner Kleinwagen raste auf eine blonde Frau mit roter Jacke zu und schleuderte sie über die Motorhaube. Ein Aufprall mit Tempo 30. Ohne Knochenbrüche wäre das kaum verlaufen – doch die Frau war eine Stuntfrau.

Nun das ganze noch einmal bei Tempo 50. Doch das war den Profis des Stuntteams, das sonst für den ARD-Tatort dreht, zu gefährlich. Im letzten Moment sprang die Frau in der roten Jacke zur Seite und ließ lieber eine Puppe ihren Kopf hinhalten. Sie wurde meterweit über des Auto hinweggeschleudert.

Die Botschaft des VCD war klar: Tempo 30 rettet Leben. 75.000 Unterschriften hatte der VCD mit Robin Wood und dem Kinderschutzbund für ihre Forderung gesammelt, in Städten Tempo 30 zur Regel zu machen und Tempo 50 nur noch den Hauptverkehrsstraßen vorzubehalten. Immerhin empfiehlt das auch eine Studie des Umweltbundesamtes (UBA). Neben der Verkehrsicherheit spricht auch die Lärmminderung durch langsameres Fahren für Tempo 30. Der UBA-Studie zufolge könnten die Spitzenpegel in Wohnstraßen um bis zur Hälfte leiser werden.

In einem Kinderwagen übergab die VCD-Vorsitzende Ute Wiegand-Nehab die Unterschriften einem Ministerialdirektor des Verkehrsministeriums, denn Minister Matthias Wissmann (CDU) hatte abgesagt. Kein Wunder, brachte er doch erst im November ein Gesetz durch den Bundestag, das bestehende Tempo-30-Zonen in Frage stellt.

Rund 50.000 Kinder verunglücken jedes Jahr im Straßenverkehr, fast 400 sterben. Rund dreiviertel der Kinder verunglücken innerorts. Nach Schätzungen des Deutschen Städtetages (DST) könnte die Zahl der Opfer durch striktes Einhalten von Tempo 30 in Wohngebieten halbiert werden.

Wenn ein Kind 15 Meter entfernt vor einem Auto auf die Straße läuft, könnte das Auto mit 30 Stundenkilometern noch rechtzeitig zum Stehen kommen. Fährt es Tempo 50, braucht es aber rund 28 Meter zum Halten. Nach 15 Metern würde es wegen der Reaktionszeit noch immer gut 45 Stundenkilometer schnell sein.

Die bisherige Ausweisung von Tempo-30-Zonen in Wohngebieten und vor Kindergärten zeigt bereits Erfolge. In Hamburg etwa ging laut VCD die Zahl der Schwerverletzten um ein Drittel zurück. Rund 20 bis 30 Prozent der Wohngebiete in Städten sind bereits Tempo-30-Zonen. Die Bundesbürger wollen mehr: Während die Zustimmung zu Tempolimits auf der Autobahn nur noch von etwa der Hälfte der Bürger zu kriegen ist, sind laut der Studie des Bundesumweltministeriums „Umweltbewußtsein in Deutschland 1998“ noch immer vier von fünf Bundesbürgern für mehr Tempo-30-Zonen.

Doch die Ausweisung stößt an ihre Grenzen, denn die Verwaltungsvorschrift des Bundes und die nach Meinung des DST „restriktive Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts“ machen neue Ausweisungen schwer und teuer. Das Gericht gestattet nur enge Zonen und verlangt umfangreiche bauliche Einengung und Umgestaltung, damit die Autos in Tempo-30-Zonen auch wirklich nur 30 fahren können. So müßte allein die Stadt Leipzig nach Schätzungen des DST 17 Millionen Mark für Umbauten und Schilder ausgeben. Mit flächendeckendem Tempo 30 würde das Limit zur Regel. Dann wäre auch die Akzeptanz durch die Autofahrer viel größer, und große bauliche Maßnahmen könnten entfallen, argumentiert der DST.