DieProbleme des Lehrers Winkler

■ Auf dem DGB-Kongreß zur Bildung wurde abstrakt über Ziele und Defizite debattiert. Schüler und Studenten waren nicht geladen

Bonn (taz) – Wenn Direktor Heinz Winkler vor seine Klasse in der Leistikow-Hauptschule in Berlin-Zehlendorf tritt, dann kann es sein, daß um acht Uhr ein Schüler auftaucht, der die ganze Nacht auf der Parkbank geschlafen hat: „Da kann ich dann doch nicht sagen, jetzt lernen wir Englisch.“ Heinz Winkler soll eigentlich auf dem Bildungskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) zum Thema „Zukunftsfähiger Lebenswandel als Bildungsziel“ reden. Aber er hat schon Probleme, seine Schüler im Hier und Jetzt auszubilden: fehlende Lehrer, falsche Lehrerausbildung, Geldmangel, lähmende Bürokratie. Er kann seinen Zuhörern nicht dieselben großen Forderungen präsentieren, die der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte den 300 Teilnehmern des Kongresses unterbreitete: eine Schulreform, mit der jeder Schüler zur Leistung befähigt wird, ein Bundesrahmengesetz für die Weiterbildung, zukunftsfähige Arbeitsplätze für jeden Jugendlichen und Abgaben für Betriebe, die nicht ausbilden. Heinz Winkler fordert kleine Schritte: „Wir müssen in den Lehrerkollegien Mut machen, einfach zu handeln.“ Um ein Projekt zu übernehmen, das an anderen Schulen erfolgreich durchgeführt wurde, müsse er zwei Jahre warten: „Es scheint fast, als ob die Behörden befürchteten, daß jede Schule, die etwas verändern will, die demokratischen Grundfesten erbeben lassen würde.“

Trotz dieser Hindernisse gibt es neue Projekte an Winklers Schule: Eine Sozialstation versorgt Schüler mit Frühstück und Ansprechpartnern für ihre Probleme. So muß keiner von der Parkbank direkt in den Unterricht, sondern kann sich erst einmal in einem Ruheraum erholen. Notorische Schulschwänzer kommen aus der Schule in die Betriebe: Drei Tage lernen sie beispielsweise in einem Handwerksbetrieb, zwei Tage Mathe, Deutsch und Geschichte in der Schule.

Auf dem Kongreß fehlten die konkreten Lösungsvorschläge für die Forderungen nach Bafög-Reform, einem neuen Schulsystem für die Zukunft oder interkulturellem Lernen. So kam manchem Gewerkschafter die Erkenntnis, daß „wir konkreter werden müssen. Wir haben nicht mehr die Zeit, plakativ zu sein.“ Konkreter waren die Forderungen bei der beruflichen Ausbildung: die Berufsschule stärken, hochspezialisierte Ausbildungen durch flexible ersetzen, berufliche Abschlüsse dem Abitur gleichstellen und die ständige Weiterbildung durch Tarifverträge unterstützen. Was die Betroffenen wünschen, blieb im dunkeln – Schüler, Studenten und Auszubildende waren bei den Diskussionen nicht eingeplant. Cornelia Fuchs