Auch Geschäftsordnungsfragen sind Machtfragen

■ Es ist still geworden um die Gegner Eberhard Diepgens. Bald ein halbes Jahr nach dem Parteitag der CDU sind die Machtverhältnisse im Landesvorstand nicht geklärt. Bisher regiert Formalgeplänkel

„Wenn die Stützpfeiler der Macht wanken“, titelte vor einem halben Jahr der Berliner Tagesspiegel. „Ein Gejagter in der eigenen Stadt“, porträtierte gar die Süddeutsche Zeitung den Regierenden Bürgermeister und CDU- Landesvorsitzenden Eberhard Diepgen. Fast schon routinemäßig absolviert es die Berliner CDU seit 1984 alle zwei Jahre: die Bestätigung Eberhard Diepgens als ihren Landesvorsitzenden. Im Februar dieses Jahres indes war plötzlich vor dem CDU-Parteitag alles ganz anders.

Mit Fanfaren hatte eine Rebellentruppe der Berliner ChristdemokratInnen in den Wochen vor dem Parteitag zum Sturm auf den Landesvorsitzenden geblasen. Die Gruppe unter dem Label „Union 2000“, eine bunte Sammlung alt- bekannter, junger sowie stramm konservativer Gegner Diepgens, wollte einen Richtungswechsel der Union, eine härtere Gangart, einen neuen Landesvorsitzenden. Und mehr Macht in den Gremien einer Partei, die seit den frühen 80er Jahren vom engen Diepgen- Freundeskreis geführt wird.

Die Gremien haben sie besetzt – der Parteitag bescherte Eberhard Diepgen ein Wahlergebnis von gerade mal 62 Prozent und einen rechts dominierten Vorstand. Von insgesamt 21 Mitgliedern steht mehr als die Hälfte auf seiten von Union 2000. Doch knapp ein halbes Jahr nach dem Parteitag ist es still geworden um die Rebellen. Die angekündigte inhaltliche Plattform fehlt bis heute. Ein Profil haben sie nicht entwickelt. Richtungsstreitigkeiten äußern sich deshalb eher jenseits des Gremiums, zum Beispiel bei der ausländerpolitischen Linie der CDU.

Statt inhaltlicher Kontroversen erschweren Protokollfragen die Arbeit im Landesvorstand. Statt wegweisender Beschlüsse – Leitliniendiskussionen für die Arbeit in der Großen Koalition – , stehen oftmals kleinkarierte Scheinauseinandersetzungen auf der Tagesordnung. „Für mein Dafürhalten ist die Diskussion im Landesvorstand krümelkackerischer geworden“, meint entnervt ein Vorständler. Früher seien Vorstandssitzungen „nonchalanter“ gewesen, heute würde über „jeden Kleinkram“ geredet. Besonders verärgert zeigt sich der Diepgen-loyale von den Geschäftsordnungsfragen, mit denen Vertreter von Union 2000 den Vorstand belasteten. Als Eberhard Diepgen zum Beispiel einen Empfang für Diplomaten verschiedener Länder geben wollte, „da bestanden die doch tatsächlich darauf, daß darüber erst der CDU-Landesvorstand reden müßte, so ein Unsinn“. Dem Christdemokraten ist jedoch klar, daß hier nicht nur detailverliebte Politiker am Werk sind: „Es ist noch zu früh, festzustellen, ob Diepgen auf Dauer eine Mehrheit hat. Aber auch Geschäftsordnungsfragen sind Machtfragen.“

Das sehen nicht nur Diepgen- Getreue. Bildungspolitiker Stefan Schlede, der als einer der Kandidaten von Union 2000 in den Vorstand geschickt wurde, bestätigt, „daß die Arbeit ein wenig formalisiert worden ist“. „Dafür ist sie jetzt auch transparenter.“ So würden Protokolle angefertigt und damit die Rolle der Parteispitze etwas beschnitten. „Die CDU ist keine Zwei-Mann-Partei. Ich schätze den Fraktionsvorsitzenden Klaus Landowsky und Eberhard Diepgen, aber sie sind nicht alleine die Partei“, fügt auch ein Union-2000-Kollege an. Man sei mit dem Anspruch angetreten, parteipolitische Entscheidungen nicht mehr dem Führungsduo zu überlassen, das sei jetzt gelungen.

Wie das im Kleinen funktionieren kann, zeigt sich auch an Personalfragen. Bei der Frage etwa, wer für den Landesverband die Bildungspolitik trägt, war Eberhard Diepgens Vorschlag, die eher liberale Abgeordnete Elke Hoffmann in das Bildungsforum der Partei zu schicken. Der Vorstand aber schickte Stefan Schlede. „Daran zum Beispiel merkt man, daß Diepgen nicht mehr die Mehrheit hat“, beurteilt ein CDU-Mitglied, das nicht im Vorstand ist. „Ja, da hat das Gruppendenken schon eine Rolle gespielt“, meint auch Schlede, „man hat mir schon nahegelegt, in das Bildungsforum zu gehen.“ Und: „Es hatte auch was mit Mehrheitsverhältnissen zu tun.“ Auch in der Innenpolitik, da sind sich die liberalen VorständlerInnen einig, sei es schwer, einen gemäßigten Kurs zu halten. Zwar war es gelungen, ein umstrittenes ausländerpolitisches Papier zu verhindern, doch Themen wie Schleierfahndung, die sogenannten verdachtsunabhängigen Kontrollen und Videoüberwachung nehmen einen hohen Stellenwert ein.

Noch ist der künftige Kurs der Union indes nicht ausgehandelt. „Inhaltlich ist bei uns der Landesvorstand gar nicht so prägend, deshalb macht sich die Veränderung nicht so schnell bemerkbar“, wägt ein CDU-Abgeordneter die Veränderung. Von einem generellen Durchmarsch rechter Positionen jedoch könne nicht die Rede sein, meinen Konservative wie Liberale. „Grundsätzlich ist mit Sicherheit kein großer Rechtsruck eingetreten“, sagt Thorsten Reschke, der Vertreter der Jungen Union im Vorstand. „Es hat sich nicht nach rechts entwickelt“, beteuert auch der Diepgen-Freund und Bundestagsabgeordnete Dankwart Buwitt. „Ich glaube, daß die Mehrheitsverhältnisse im Landesvorstand nicht in eine völlig andere Richtung gekippt sind“, sagt schließlich Schlede. Jungpolitiker Reschke blickt vielmehr mit Enttäuschung auf den Landesvorstand. Statt die versprochenen Impulse in den Vorstand zu tragen, taktierten die Rebellen, probierten aus, wie weit sie gehen können. „Vor allem aber ist man zufrieden, gelegentlich Attacken gegen die Parteispitze zu fahren. Und die anderen sind froh, daß sie noch dabei sind.“ Barbara Junge