■ Kaputt in Köln: Forscher in der Sporthochschulbibliothek
: Copy-Destroyer on Tour

Kollege Fischer und ich wollten ein Buch schreiben. Dafür brauchten wir Bücher, noch mehr Bücher. Wir hatten schon welche, etwa zwei- bis vierhundert Stück, aber die reichten uns nicht, wir wollten sie einfach alle haben: Man nennt das Forscherdrang.

Die Fachbibliothek der Deutschen Sporthochschule steht in Köln. Quadergleich steht Schweiß im Raum. Eine Studentin fragt, ob es hier Bücher gebe, die besorgt heraneilende Bibliothekarin klärt uns darüber auf, daß wir „Formulare ausfüllen“ müßten. Nach drei Stunden haben wir 44 Titel notiert. Am Tresen gibt man uns Bescheid, es könnten nur jeweils 10 bearbeitet werden. Ich simuliere Schweißausbrüche und rede was von „höchstrichterlichem Auftrag im Sinne der Literatur und insbesondere der Fußballforschung“ daher. Ja, o.k., mal schaun, das klänge ja interessant.

20 Minuten später sehen wir die Frau hinterm Ausgabetresen nicht wieder. Sie murmelt, wir möchten doch bitte die Stapel rasch entfernen. Schweiß sammelt sich am Hosenbund. Ein flüchtiger Blick bedeutet uns: Das muß alllles kopiert werden. Wir teilen auf. Drei Räume mit jeweils drei Xeroxmaschinen. Fischer reißt den ersten Walter-Band runter, daneben schufte ich an der Enzyklopädie des Toreschießens. Vor der Glastür staut es sich etwas.

Plötzlich ruckelt Fischers Apparat, Papierweg verstopft. Die hinzugezogene Aufsicht behauptet, der Xeroxklempner sei schon nach Hause gegangen. Mit dem Handwagen zieht Fischer nach oben ab, ich erhöhe die Frequenz, es ist kurz nach fünf, da staut's auch bei mir. Geistesgegenwärtig wechsele ich zum eben freigewordenen letzten Gerät dieser Abteilung und erkläre dem zaghaft protestierenden Kollegen, daß ich aus Frankfurt käme und bis sieben leider die zwei Stöße hier abzulichten hätte. Er versteht und schleicht davon.

Um halb sechs kapituliert die tapfere Kiste. Stoisch rütteln Kopierwillige an Klappen und Papierfächern. Fischer taucht auf und signalisiert, oben, im dritten Stock, seien drei der drei Maschinen ausgefallen, unten stünden indes noch zwei, die dritte sei ihm während des Kopiervorgangs gerade eben leider, und er wisse nicht wieso, kaputtgegangen.

Ich raffe Blätter und Bücher zusammen. Blitzartig fallen die beiden letzten Xeroxe in unsere Hände; Schweiß rinnt rasend, der Zeiger tickt, der Toner schwächelt, Hennes Weisweilers Hörzu-Kolumne, ein unverzichtbares Stück Literaturgeschichte, schnurrt mit dichtem Grauschleier aus der stampfenden Mühle, draußen warten fünf, sechs Kommilitonen und lassen sich gerne sagen, daß man noch heute nach Frankfurt zurückmüsse, als Fischer „Verfickte Xeroxscheiße!“ brüllt und zusammensackt und seine Stapelware vom Beistelltisch wischt, ich aber unter Schweißausbrüchen, vier vor sieben, die letzten Seiten Hanne Sobek aus dem Kasten prügele, der dömpelnd seinen Dienst quittiert, das Bündel an mich reiße und treppauf stampfe. Fischer folgt, aufgescheuerte Ellbogen, ergrauten Haares, zerfetzten Beinkleides, drei Dutzend Bücher und ratlos dreinschauende, seit zwei Uhr ausharrende und unverrichteter Dinge den Universitätsalltag beschließende Sportwissenschaftler im Schlepptau.

Das Buch ist fertig. Ob Köln noch steht, weiß ich nicht. Jürgen Roth