In Thailand wird das Essen in Stadt und Land knapp

■ Ein Jahr nach Ausbruch der Krise ist die Hoffnung auf Ende der Rezession verflogen

Bangkok (taz) – „Solange es Fisch in den Flüssen, Reis auf den Feldern und Obst in den Gärten gibt, bleibt uns die Hoffnung auf eine bessere Zukunft“, beruhigte die thailändische Zeitung Prachachart Turakij kürzlich ihre von der schweren Wirtschaftskrise entmutigten Leser. Schauspieler rufen zu Spenden auf, und die Abendnachrichten beginnen mit dem Appell von König Bhumibol an seine Untertanen, die Krise zum Anlaß zu nehmen, sich auf die traditionellen Werte zu besinnen und nicht mehr über ihre Verhältnisse zu leben.

Ein Jahr, nachdem der Traum vom unaufhaltsamen wirtschaftlichen Aufstieg der südostasiatischen Tiger-Staaten platzte, suchen die Thailänder noch verzweifelt nach einem Ausweg aus der Krise, die am 2. Juli 1997 mit der Freigabe des Baht-Wechselkurses in Thailand begann. Längst zerstoben ist die Hoffnung, die ökonomische Talsohle schnell zu überwinden und zum früheren Wachstum von über acht Prozent zurückzukehren. Statt dessen wird die Wirtschaft voraussichtlich um 3,5 Prozent schrumpfen. Zwar ist die Lage in Thailand nicht so dramatisch wie in Indonesien, wo die Weltbank kürzlich feststellte, daß fast ein Viertel der 200 Millionen Menschen von weniger als einem US- Dollar pro Tag lebt.

Aber auch in Thailand gibt es kein soziales Netz, keine Kranken- oder Arbeitslosenversicherung. Verläßliche Statistiken fehlen, nach Ansicht der Internationalen Arbeitsorganisation stehen schon jetzt weitaus mehr als die von der Regierung vorausgesehenen zwei Millionen Menschen auf der Straße. Dazu kommen 500.000 Schulabgänger, die in diesem Sommer Arbeit suchen. Viele Eltern können den Unterricht nicht mehr bezahlen und brauchen jede Hand zum Geldverdienen. Weil die Krise auch vor den reicheren Ländern der Region wie Malaysia und Singapur nicht haltmachte, sind dort die Jobs thailändischer Bauarbeiter bedroht, die mit ihren Überweisungen ihre Familien in den Städten und Dörfern Thailands über Wasser hielten. Als der Wert des thailändischen Baht gegenüber dem Dollar in den Keller stürzte, trösteten sich die Thailänder damit, daß ihre Exporte billiger werden. Doch auch diese Erwartung wurde enttäuscht, da auch die Nachbarländer preiswerter verkaufen.

Dabei schienen die Aussichten noch Anfang des Jahres günstig: Die neue Regierung unter Premierminister Chuan Leekpai unternahm alle Anstrengungen, die harten Reform- und Sparvorschriften des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erfüllen. Mit der gerade verabschiedeten demokratischen Verfassung wuchs zugleich die Aussicht auf eine rechtstaatlichere und transparentere Politik. Und die junge thailändische Mittelschicht, die vielfach nicht mehr wußte, wie sie ihre Kredite für Auto oder Haus zurückzahlen sollten, glaubte den Versicherungen des IWF zuerst, seine Medizin sei zwar bitter, aber wirksam. Diese Zuversicht ist nun vorbei.

Der Baht fällt weiter, ein Aufschwung ist nicht in Sicht. Und plötzlich müssen die Thailänder erkennen, daß die alten Rezepte nicht mehr funktionieren: Bislang war es üblich, daß Städter wieder auf die Farm ihrer Eltern zurückkehren konnten, wenn sie ihren Job in der Stadt verloren. Nun rächt sich, daß die vergangenen Regierungen in den Zeiten des Booms die Bauern vernachlässigten. Die Kluft zwischen armen Bauern und reichen Städtern wuchs in Thailand stärker als in anderen Ländern der Region. Dazu kommt die Dürre in Folge des El- Niño-Klima-Effekts, der die Ernte in weiten Landesteilen beeinträchtigt hat. In den Boomjahren waren sechs Millionen Bauern nach Bangkok gezogen und hatten ihre Familien auf dem Dorf unterstützt. Viele von ihnen müssen nun die schmerzliche Erfahrung machen, da sie in ihrer Heimat als zusätzliche Esser nicht willkommen sind. Die Rezession „wird die Dörfler langfristig noch ärmer machen, weil mehr Menschen sich die gleichen Ressourcen teilen müssen“, prophezeit der Ökonom Voravidh Charoenlert. Jutta Lietsch