Störende Schwingungen

Ein neunjähriges Mädchen führt die Geistheilergemeinde vor. Sie konnte nachweisen, daß Therapeuten, die vorgeben, das menschliche Energiefeld zu spüren, ihren Patienten etwas vorgaukeln  ■ Von Wolfgang Löhr

Lediglich ein Tisch und ein großes Handtuch als Sichtschutz reichten aus, um die Geistheilerszene der USA in helle Aufregung zu versetzen. Mit einem simplen, aber brillanten Test, den sich die neunjährige Emily Rosa aus Loveland, Colorado, für ein Schulpraktikum ausgedacht hatte, widerlegte sie die Behauptung therapeutischer Heiler, daß sie menschliche Energiefelder wahrnehmen können.

Rund 40.000 Alternativmediziner werben in den USA damit, daß sie durch einfaches Handauflegen und das bewußte Übertragen von Energie die aus der Balance geratenen Energiefelder ihrer Patienten korrigieren und so den Gesundheitszustand wiederherstellen können. Die der Scharlatanerie überführten Heiler reagierten auf Emily Rosas Studie, die in der international renommierten Fachzeitschrift Journal of the American Medical Association (JAMA) erschien, mit Empörung.

Das sei doch nur ein „Aprilscherz“, sagte Dolores Krieger, die Anfang der siebziger Jahre die Therapie in den USA einführte und weiterentwickelte, zur New York Times. Die emeritierte Professorin für Krankenpflege von der New York University, die in den letzten Jahrzehnten selbst rund 47.000 Therapeuten ausgebildet haben will, hatte wohl noch die Hoffnung, daß die Herausgeber des JAMA sich einen Jux erlaubt hatten – Rosas Studie erschien tatsächlich in der JAMA-Ausgabe vom 1.April.

Krieger übernahm das „Heilen durch Handauflegen“ von der ursprünglich aus Indien stammenden ayurvedischen Medizin. Kriegers Schriften zufolge beruht Gesundheit auf einer „harmonischen Beziehung“ zwischen der individuellen und der äußeren Umwelt, die durch einen ständigen Energiefluß in Wechselwirkung stehen. Ist der freie Energiefluß gestört, treten Krankheiten auf. Durch die heilende Einwirkung eines Mediums könne die Balance des Energieflusses wiederhergestellt werden. Das Therapiekonzept beruht darauf, daß der Heiler das Energiefeld spüren und manipulierend eingreifen kann. Ein direkter Körperkontakt ist dafür nicht notwendig, da die Kräfte auch in einer Entfernung von bis zu zehn Zentimetern vom Körper entfernt noch wahrnehmbar sind.

Geschätzt wird, daß „Heilen durch Handauflegen“ in rund achtzig nordamerikanischen Kliniken angeboten wird. Nach Angaben von Healing Touch International, einer Vereinigung von Geistheilern in Colorado, kann die Heiltherapie bei einer Vielzahl von Krankheiten und Leiden eingesetzt werden, einschließlich Arthritis, Multiple Sklerose, sogar bei Krebserkrankungen und Aids gebe es Erfolge.

Um zu überprüfen, ob die Angaben der Heiler tatsächlich stimmen, führte Emily Rosa bereits vor zwei Jahren eine erste Testreihe durch. Über Anzeigen fand die damals neunjährige Schülerin fünfzehn praktizierende Heiler, die sich bereit erklärten, an dem nur wenige Minuten dauernden Test teilzunehmen. Der Versuchsaufbau: Getrennt durch ein Handtuch saßen sich Heiler und die Schülerin an einem Tisch gegenüber. Der Heiler mußte seine Hände durch zwei Öffnungen vorstrecken. Unsichtbar für ihn legte Emily Rosa dann ihre Hand nur wenige Zentimeter unter eine der beiden Hände der Testperson. Die Wahl, ob unter die rechte oder linke Hand des Probanden, entschied sie durch den Wurf einer Münze. Die Geistheiler, die alle von sich behaupteten, daß sie das Energiefeld eines Körpers spüren können, selbst in einer Entfernung von wenigen Zentimetern, mußten dann sagen, welche Hand Rosa ausgewählt hatte. Jede Testperson hatte zehn Versuche.

Das für die Heiler niederschmetternde Ergebnis: Lediglich bei siebzig von den insgesamt 150 Versuchen gaben die Heiler die richtige Seite an. Ein ähnliches Ergebnis wäre nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung auch herausgekommen, wenn die Heiler ihrerseits eine Münze geworfen hätten, um zu einer Entscheidung zu kommen. Oder einfach nur geraten hätten.

Auf Veranlassung eines TV-Senders, der auf das Experiment aufmerksam geworden war, wiederholte Emily Rosa im vergangenen Jahr ihre Tests. Diesmal erklärten sich dreizehn Geistheiler bereit, teilzunehmen, darunter sieben, die bereits an dem ersten Experiment teilgenommen hatten. Das Ergebnis fiel ähnlich aus. Die Testpersonen lokalisierten Rosas Hand „nur in 53 der 150 Versuche korrekt“. Das Tuch habe ihn irritiert, führte einer der Heiler zur Entschuldigung an. Ein anderer meinte, daß Rosas Hand zu trocken gewesen sei, so daß er nichts spüren konnte. Einer anderer meinte gar, die Klimaanlage hätte das Kraftfeld weggeblasen.

„Die Testsituation war nicht streßvoller oder störender als in der Praxis der Therapeuten“, heißt es in der JAMA-Publikation, die Emily Rosa als Co-Autorin gemeinsam mit ihrer Mutter Linda, einem Psychologen für die statistische Berechnung und einem Experten für Geistheilen, einem Psychiater, verfaßte. Ihre Schlußfolgerung: „Wir glauben nicht, daß die Therapeuten die Fähigkeit haben, Energiefelder zu spüren.“

Befürworter der Heiltherapie widersprechen energisch. Sie verweisen auf zahlreiche wissenschaftliche Studien, die die Erfolge der „heilenden Hände“ belegen. Eine Literaturrecherche in medizinischen Fachzeitschriften ergab, daß in dem Zeitraum zwischen 1972 und 1996 insgesamt 853 Reporte zu dem Thema erschienen. Bei den meisten sei schon das Studiendesign fragwürdig, berichtet das Autorenteam um Emily Rosa. Nur wenige würden wissenschaftlichen Kriterien standhalten. So sei vor allem der Placeboeffekt nicht berücksichtigt worden. Und ihrer Kenntnis nach, „gibt es keine einzige, die untersucht, ob die Praktiker das menschliche Energiefeld überhaupt spüren“.

Zu guter Letzt versuchten Befürworter der Heiltherapie Emily Rosas Studie mit dem Argument unglaubwürdig zu machen, daß sie von Kritikern alternativer Heilmethoden initiiert wurde. Linda Rosa, eine Krankenschwester, sei eine ausgewiesene Gegnerin der Alternativmedizin. Sie habe seit Jahren schon das Heilen-durch-Handauflegen bekämpft und ist Mitglied im National Council Against Health Fraud (Nationaler Rat gegen Betrug im Gesundheitswesen). Auch der Herausgeber von JAMA, die US-Ärzteorganisation American Medical Association, wurde angegriffen. Sie sei eine „politische Organisation“, und viele Ärzte, die dort Mitglied seien, befürchteten, daß ihnen durch die Geistheiler das Einkommen geschmälert werde, sagte Cynthia Hutchinson, eine Ausbilderin für Händeheilen aus Boulder, Colorado.

Für George Lundberg, Redakteur bei JAMA, zählt nur die wissenschaftliche Qualität der Studie. Ihn stört es auch nicht, daß Emily Rosa vermutlich die jüngste Autorin ist, deren Untersuchung in einem wissenschaftlichen Journal je abgedruckt wurde. In einem Editorial zu Rosas Veröffentlichung schreibt er, die Ergebnisse zeigen, daß „Patienten die Bezahlung der Therapien verweigern sollen, bis weitere Untersuchungen einen klaren Beweis für die Wirksamkeit vorliegen“.

Dieser Nachweis steht nach wie vor noch aus. So versucht die in Florida ansässige James Randi Educational Foundation (JREF) seit Jahren schon, Geistheiler zu finden, die bereit sind, ihre Fähigkeiten in einem Test unter Beweis zu stellen. Der Stiftungsgründer James Randi, der sich der Aufgabe verschrieben hat, die in den USA immer stärker um sich greifende Pseudowissenschaft zu bekämpfen, hat einen Preis ausgesetzt: 1,1 Millionen Dollar soll erhalten, wer nachweist, daß er menschliche Energiefelder fühlt. Bisher hat sich erst eine Kandidatin bei James Randi gemeldet. Sie bestand den Test nicht, das Geld ist noch zu haben.