Die unendliche Lust am Töten

■ Dekadent und dämonisch: „Die Teaterwixer“ performen die Poeme von Christopher Lautréamont auf der Cap San Diego

Ein Mann schläft. Den Oberkörper elegisch über den Rand einer Badewanne gelehnt, hebt und senkt er die Brust ruhig zu Wagner-Musik. Auch als die Streicher von explosionsartigen Geräuschen übertönt werden, schläft er weiter. Menschen schreien verzweifelt, Glas splittert, Holz zerbirst – die Augen bleiben geschlossen.

Dieser unberührbare Mensch befindet sich nicht an Bord der untergehenden Titanic, auch wenn die Geräuschkulisse das suggeriert. Unser Schiff heißt Cap San Diego und liegt fest vertäut an den Landungsbrücken. Dort feiert im Laderaum III die Lust am Grausamen Triumphe. Denn der langsam erwachende Mann liebt das Böse. Zunächst bastelt er aus Schlagzeilen von herumliegenden Ausgaben der Mopo einen Rap über „Gewalt in Hamburg“, um dann mit den Gesängen des Maldoror in die Tiefen des Bösen hinabzusteigen.

Fast zwei Stunden lang monologisiert Christopher Zumbült Strophen aus den Gesängen des 1870 gestorbenen französischen Dichters Lautréamont. Und die haben es in sich. Von Kindesmißbrauch, Vergewaltigung und der unendlichen Lust am Töten erzählen sie in manchmal kaum erträglicher Lakonie. Als „szenische Lesung“ hat die freie Theatergruppe Teater 3000, von Christopher Zumbült und Regisseur Jens Paarmann im Januar gegründet, ihr Stück Der Teaterwixer angekündigt. Lesung ist wirklich untertrieben. Christopher Zumbült spielt so intensiv, daß für den Zuschauer kaum Platz zur Distanzierung bleibt. So unterstreichen Clownsperücke und altmodischer Hausmantel sogar noch, daß die grausamen Gesänge Lichtjahre von jeder Komik entfernt sind.

Auch sinnlich wird auf der Bühne die brutale Lust an der Zerstörung nachvollziehbar – etwa wenn der im dreckigen Unterhemd steckende Lüstling von der Anmut eines zehnjährigen Mädchens schwärmt und dabei eine langstielige rote Rose in den Mund steckt, die Blüte abbeißt, zerkaut und hinunterschluckt. Daß das Böse in persona nur einen, nämlich sich selbst, lieben kann, bringt Der Teaterwixer nicht nur im Titel auf den Punkt: Eine Videokamera wird zum Spiegel, den sich Narziß vors Gesicht hält und sein Ebenbild dadurch auf dem Bildschirm bewundern kann.

So eindrucksvoll die Strophen aus dem 19. Jahrhundert in Szene gesetzt werden, so wenig überzeugt ihre Einbettung in eine moderne Rahmenhandlung. Eher plakativ wirkt der Versuch, aktuelle Formen der Dekadenz aufzuzeigen, wenn Zumbült als Dandy mit Handy auftritt, der Wagner-Musik hört und seiner Freundin die CD zur Titanic-Filmmusik schenkt. Zwar enden die Gesänge des Maldoror auch mit dem Untergang eines Schiffes, doch um den Titanic-Bezug in philosophische Dimensionen zu tauchen, reicht räumliche Tiefe allein noch nicht aus.

Karin Liebe

noch 5. Juli, 18 Uhr, sowie 9.,10.,16.,17., 23. und 24. Juli, jeweils 20 Uhr, Cap San Diego