Welt ohne Leidenschaft

■ Im Kino hat das Büro kaum einen Platz. Im Stummfilm diente es dazu, verwüstet zu werden, in den Fünfzigern zementierte sich hier das Rollenverständnis. Auch seine Zukunft sieht düster aus

Liebesfilme spielen am Strand. Oder sie beginnen in der Einzimmerwohnung und enden in der viktorianischen Stadtvilla. Krimis zeigen uns die Gossen der Großstadt, führen in Polizeireviere und in den Gerichtssaal. Komödiantisches und Tragisches, was sich nicht in Genrebegriffe pressen läßt, spielt überall, wo das Leben spielt. In Küchen und Kellern, in Kinderzimmern und auf Dachböden. Im Büro aber, wo brave Arbeitnehmer brave acht Stunden ihres Tages verbringen, erwacht selten die große Leidenschaft. Für die Filmwelt scheint es wenig leinwandtauglich. Dennoch: Zu dominant ist die Arbeitswelt, als daß sich die Kinofiktion komplett an ihr vorbeidrücken könnte.

In seinen ersten Jahren war der Film das Medium der Sensationen. Züge rasten auf die Kamera zu, Schießereien, blutige Eifersuchtsdramen und Tortenschlachten füllten die Leinwand. Ein Büro diente in Stummfilmzeiten höchstens dazu, verwüstet zu werden. Erst mit dem Tonfilm konnten es sich die Autoren leisten, längere Sequenzen in nüchternen Diensträumen spielen zu lassen.

Im Film-Büro ist bis in die fünfziger Jahre hinein das Rollenverhalten eindeutig festgelegt: Er diktiert, befiehlt und flirtet, sie stenographiert, gehorcht und läßt sich becircen. Zuweilen treten Frauen massenhaft auf, sie hauen synchron in die Tasten, verlieben sich reihenweise in ihren Chef. Ihre Schreibtische stammen aus der Fabrik, während der Chef einen klobigen Kasten mag, der Distanz zu den Untergebenen schafft.

Dieses Rollenverhältnis findet sich auch im berühmtesten Büro der Filmgeschichte. Es besteht aus einem Vorzimmer und einem Hauptraum. Im Vorzimmer arbeitet Miss Moneypenny, seit 1962 ist sie als Privatsekretärin für Geheimdienstchef M tätig. Ihre Büroeinrichtung ist nahezu zeitlos, englisches Understatement. Hinter einer Eichentür sitzt Moneypenny an einem aufgeräumten Schreibtisch. Die sauber geschichteten Papierstapel teilen sich den Platz mit einer Schreibmaschine, einer Gegensprechanlage und einem Telefon, deren Design sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Die trostlosen Bürowände verschönt Moneypenny mit Blumenbildern. Aber zu anheimelnd darf ihr Büro nicht sein, schließlich muß James Bonds Sekundenflirt mit der Sekretärin einen atmosphärischen Grauschleier zerreißen können.

Zwei Genres bieten längere Einblicke in die Bürowelt. Der Gerichtsfilm nimmt seine Zuschauer mit in Anwaltskanzleien und Richterzimmer. Der Reporterfilm gönnt seinen gnadenlos recherchierenden Helden ab und an eine Pause in der Redaktion. Da kann der Zuschauer erfahren, wie sich Reporter jeden Tag mit Enthüllungsgeschichten von unglaublicher Tragweite herumschlagen. Realistischer wird ihm vorgeführt, wie sich die Redaktionszimmer veränderten – von dem Raum im kleinen Holzhäuschen des Wildweststraßendorfes bis zum hauptstädtischen Großraumbüro, etwa in „Die Unbestechlichen“ aus dem Jahr 1976.

Das Büro als gigantischer Versammlungsort des Herdentieres Mensch zeigt schon Billy Wilders „Das Apartment“ von 1959. 31.259 Angestellte arbeiten bei der New Yorker Versicherungsgesellschaft, und Jack Lemmon alias C.C. Baxter fährt täglich in den 19. Stock, geht in Sektion B und setzt sich an Tisch 861. Die Tische sind in gleichen Abständen aufgereiht, und an der Decke brennt über jedem Pult eine Neonlampe: das Büro als konsequente Datenfabrik, gigantisch, diszipliniert, kühl und geschmacklos.

Das Film-Büro der achtziger Jahre scheint aus sich heraus Kälte zu produzieren. Ob „Wall Street“ oder „Die Waffen der Frauen“ – Glas und Stahl dominieren, die Technikfixierung wächst. Obwohl die Hollywoodfilme nicht den Kapitalismus in Frage stellen, erzählen ihre Büroszenen doch von Entfremdung und Korrumpierung.

Die Zukunft des Büros ist in der Phantasie der Drehbuchautoren, Regisseure und Ausstatter eine düstere – dank der vielen Miesmacher unter den Zukunftsfilmern. Ihre Vorhersage multipliziert die miesen Eigenschaften der Büros früherer Jahrzehnte mit den Macken heutiger Arbeitsräume. Terry Gilliams „Brazil“ zum Beispiel spielt in einem zeitlich nicht definierten Überwachungsstaat. Da sind sie wieder, die grausam hart hackenden Schreibmaschinen, die endlosen Telexpapiere.

Erträglich wäre das, spielte es sich ein einem überschaubaren Büro ab, vielleicht mit Blick auf einen Park. Statt dessen prophezeit Gilliam das Maximum eines Großraumbüros, in dem unzählige Rohre kreuz und quer verlaufen. Verworren und undurchsichtig ist dieses Büro, hier weiß wohl niemand genau, was er tut. Leben und Arbeit sind zwei deutlich getrennte Bereiche. Das schlimmste ist: In diesem Staat gibt es auch kein Leben nach der Arbeit. Das Büro der Zukunft: eine mörderische Maschine, die es auf unsere Lebenszeit abgesehen hat. Lennart Paul