: Der Dennis ist nicht mehr brav
■ "Er macht den Unterschied aus": Rechtzeitig vor dem heutigen Viertelfinale gegen Argentinien hat der niederländische Stürmerstar Dennis Bergkamp seine unangenehme Seite entdeckt
Marseille (taz) – Es war die 53. Minute im Achtelfinalspiel zwischen Holland und Jugoslawien, in der Dennis Bergkamp plötzlich ein anderer war. Da trat er dem am Boden liegenden Sinisa Mihajlovic. Eine Tätlichkeit? Eine ungewollte Aktion, weil er selbst ins Straucheln geraten war? „Absicht“, wie Mihajlovic später behauptete? „Ein Unfall“, wie Bergkampf glauben machen wollte? Die Beobachter im Stade Municipal von Toulouse waren geteilter Meinung, der spanische Schiedsrichter Garcia Arande ließ die Aktion ungeahndet. Vor dem dem heutigen Viertelfinalespiel in Marseille gegen Argentinien ist alle Welt etwas schlauer: Bergkamp hätte die rote Karte sehen müssen.
In einem Interview mit L'Equipe hat er gestanden, Mihajlovic habe ihn ständig provoziert und ihm mehrere Ellbogenchecks versetzt, da sei er „etwas aus der Haut gefahren“. Vermutlich hat Bergkamp gegenüber L'Equipe-Reporter Leclaire wieder dieses sanfte, gutmütige Lächeln aufgesetzt, für das er seit jeher bekannt war und mit dem er auch in Toulouse treuherzig erklärt hatte, es sei absolut richtig gewesen, daß ihm der Schiedsrichter keine Karte gezeigt habe. Wer wollte einem Fußballer Unredlichkeit unterstellen, der, still und bescheiden, stets im Rufe eines Gentleman stand?
Tatsache ist: die Zeiten haben sich geändert. Arsène Wenger, Bergkamps Trainer beim englischen Meister Arsenal London, weiß Kunde zu geben von einem Dennis Bergkamp, der sich seiner exponierten Stellung im Team bewußt ist, der sich resolut durchsetzt, der so gar nicht mehr dem Image vom grundsoliden, introvertierten Zeitgenossen entspricht.
Der ehemals brave Dennis selbst sagt, er habe dazugelernt im Ausland, in den zwei schlechten Jahren bei Inter Mailand bis 1995 und in den drei besseren danach bei Arsenal. Das Leben in der Fremde hat ihm die Erkenntnis eingebracht, daß im Big Business Profifußball Zurückhaltung oder Rücksichtnahme die falschen Tugenden sind. Vor allem in Italien hat Bergkamp dies zu spüren bekommen. Als 1995 Inter fast in die zweite Division abgestiegen wäre, wurde er zum Sündenbock gestempelt. Ein Weichei sei dieser Bergkamp, „das Symbol der Inter-Tristesse“, wie die Gazzetta dello Sport damals titelte. Bergkamp blieb nur die Flucht, die ihn nach England führte. „Die Zeit in Italien war die schrecklichste meiner Karriere“, sagt er. Aber es war eben auch eine Lehrzeit.
Der große Johan Cruyff hatte Bergkamp immer wieder kritisiert. Ein Fußballer mit solchen Fähigkeiten müsse zeigen, daß er der Chef sei, er müsse sich der Verantwortung stellen, sie übernehmen. Dies tut er nun im Alter von 29 Jahren, ohne Bergkamp läuft nichts im holländischen Team. „Er ist für uns lebensnotwendig“, sagt Jaap Stam, selbst der teuerste Verteidiger der Welt, seit Manchester United 31 Millionen Mark Ablöse für ihn an den PSV Eindhoven bezahlt hat: „Dennis macht den Unterschied aus. Wenn er spielt, sind wir viel besser.“
L'Equipe hat das Interview mit einem Foto aus dem Spiel gegen Jugoslawien bebildert. Es zeigt Bergkamp nach seinen Tor zum 1:0 mit geballten Fäusten und einem Lächeln, das so gar nicht an einen lieben Jungen erinnert. Eher an den sprichwörtlichen Wolf im Schafspelz. Heute steht Argentinien auf dem Speiseplan. Ralf Mittmann
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