Wo bleiben die Ökofans?

Die Nöte eines touristischen Modellprojekts  ■ Von Christel Burghoff

„Wir sind schon eine bedeutende touristische Einrichtung“, erklärt Martin Altemüller, Biologe im Wallnauer Vogelreservat. Und man wünscht, daß es stimmt. Inmitten dieses satten Gartenparadieses, in dem wir stehen, fällt der Blick nicht nur auf blühende Sträucher und den großen Froschteich, sondern auch auf das Dach des Besucherzentrums. Es hängt beängstigend stark durch. Das Haus ist zweifellos renovierungsbedürftig. Und es ist nichts los hier. Gibt es außer mir noch andere Besucher?

Vor 20 Jahren, da war man ganz sicher bedeutend. Altemüller, die Geschichte rekapitulierend, läßt ein progressives Modell auferstehen, das seinerzeit vorwegnahm, was heute gern als Versöhnung von Ökologie und Ökonomie propagiert wird. Nämlich eine frühe Kombination aus ausgeklügeltem Biotopmanagement und Tourismus. Hier, im Reservat hinter dem Deich, sollte den Besuchern die außerhalb schwer dezimierte Welt der Wasser- und Zugvögel und der Amphibien vorgeführt werden. Es ist das ehedem größte Teichgut Schleswig-Holsteins. Als es 1975 zum Verkauf stand, erwarb es der Naturschutzbund Nabu, u.a. mit staatlicher Hilfe und der Unterstützung durch Bernhard Grzimek.

Der frei zugängliche Teil des Vogelreservats endet an hohem Gebüsch. Hier steigen wir auf gut verdeckte Hochstände. Man sieht schilfbestandene Teiche und riesige Wasserflächen bis weit ins Land hinein. Zahlreiche Wasservögel dümpeln hier, ganz wie auf heimischem Gewässer, darunter seltene und scheue Tiere, die gemeinhin vom Rummel am Strand vertrieben würden. Mit Ferngläsern holen wir sie uns noch näher heran. Es ist ungewöhnlich still. Die ehemaligen Fischteiche sind durch ein Kanalsystem verbunden, Pumpen regeln den Wasserstand. Je nach Jahreszeit wird geflutet bzw. trockengelegt, um den Wassertieren optimale ökologische Bedingungen zu bieten. Ein Wäldchen grenzt an das Gelände. So nah am Strand ist Wald selten auf Fehmarn. Altemüller erzählt, daß vom Säbelschnäbler bis zum Seeadler zahllose Vogelarten nach Wallnau kommen, um zu rasten, zu brüten oder um zu überwintern.

Fehmarn sei ein wichtiger Trittstein und der Kreuzungspunkt für Zugvögelschwärme, erklärt der Biologe. Die Route über diese Ostseeinsel ist die engste Verbindung nach Dänemark und den anderen skandinavischen Ländern. Zugvögel nutzen sie gern, brauchen sie doch keine großen Entfernungen übers Meer zurückzulegen. „Vogelfluglinie“ heißt auch die Fährverbindung zwischen Puttgarden auf Fehmarn und Rodby in Dänemark, auf der seit den 60ern ganze Eisenbahnzüge transportiert werden. Stolz auf die Technik: Man hatte es mit der großen Sundbrücke und dem Fährhafen den Leistungen unserer gefiederten Mitwelt fast gleichgemacht, es war eine Verkehrserschließung großen Stils. Heute klingt es beinahe zynisch. Denn für die Tiere selbst ist nicht viel Restnatur übriggeblieben. Neben dem Wallnauer Vogelreservat betreut der Naturschutzbund einen kleinen geschützten Abschnitt alter Strandlandschaft im Norden der Insel und im Westen noch einen Nehrungshaken. Die vielen attraktiven Strände werden in erster Linie touristisch genutzt. Fehmarn ist ein Urlauberparadies und ein prima Tip für Surfer.

Dennoch: Der wirtschaftliche Partner Tourismus bröckelt weg. Die Besucherzahl ging von durchschnittlich 50.000 auf ganze 31.000 Menschen im letzten Jahr zurück. Selbstkritisch meint Altemüller: „Wir haben den Fehler gemacht zu glauben, daß es einfach so weitergeht.“ Womit? Natürlich mit dem Interesse an der stillen Natur. Mit Ökointeressierten, die das Angebot im Naturrefugium als Abwechslung zum Strandleben akzeptieren, oder mit Naturfans, die sich Stunde um Stunde ins Leben im Biotop versenken. Vor allem die Vereine bleiben jetzt aus, Betriebsausflügler, Schulklassen – sie machten die große Zahl. Daß der Ökoboom vorbei ist, das will Altemüller so nicht behaupten. Aber Fakt ist, daß auch die Spendenlage beim Nabu nicht rosig genug ist, um ein aufwendiges Projekt dieser Art allein zu finanzieren. Und auch die Prioritäten der Landesregierung sind dem Naturschutz nicht gerade förderlich. Die Mittel für den „Trittstein“ wurden zusammengestrichen. Attraktionen wie „Deutschlands größtes Hai-Aquarium“ (Eigenwerbung) im nahe gelegenen Ort Burg erfreuen sich hingegen der Besuchergunst.

Im Vogelreservat wurden inzwischen einige Mitarbeiter entlassen. Und nicht zu vergessen das Dach. Es brauche nur einmal richtig viel Schnee, orakelt Altemüller, dann stürze es ein. Der folgende Winter könnte dem Gebäude den Garaus machen.

Wasser- und Vogelreservat Wallnau, 23769 Westfehmarn, Tel.: 04372-1002, Öffnungszeiten: täglich ab 10 Uhr, sommers ab 9 Uhr