Clinton beendet die Durchsage

Mit einem erneuten Plädoyer für mehr Demokratie und Unterstützung für die Dissidenten verabschiedet sich der US-amerikanische Präsident von China  ■ Aus Hongkong Georg Blume

US-Präsident Bill Clinton kennt seinen Partner: „Er ist außerordentlich intelligent und voller Energie. Er hat Phantasie und besitzt die Kraft, eine Zukunft zu erdenken, die sich von der Vergangenheit unterscheident.“ Kurz: Er ist ein Politiker, wie Bill Clinton sich selber sieht.

Doch so viel Lob hat der Präsident am letzten Tag seiner China- Reise nicht für sich, sondern für den chinesischen Partei- und Staatschef Jiang Zemin reserviert. Ihm und seinen Reformpremier Zhu Rongji traut Clinton heute sogar eine Wegbereiterfunktion für die Demokratie in China zu: „Führer mit Mut und Vision“, Clinton denkt dabei offensichtlich an Jiang und Zhu, „werden China auf die richtige Seite der Geschichte bringen.“ Für den Führer der westlichen Welt steht außer Frage: „Es wird in China Demokratie geben.“

Die Parteigrößen in Peking werden mit gemischten Gefühlen gelauscht haben, als Clinton seine erste China-Reise, die von Anfang bis Ende für zahlreiche Kontroversen sorgte, auf deren letzter Station in Hongkong als erfolgreiche Wallfahrt für Demokratie und Menschenrechte interpretiert. „Wir sind auf eurer Seite, auf der Seite der Meinungs- und Versammlungsfreiheit“, ruft Clinton jenen 150 Häftlingen zu, die für ihre gewaltfreien Aktionen während der Studentenrevolte 1989 noch immer im Gefängnis sitzen.

Aber im gleichen Atemzug weigert er sich, China eine andere Menschenrechtspolitik aufzuzwingen. Das sei nicht Aufgabe der USA. China müsse sich nicht auf US-amerikanischen Druck, sondern aus eigener Überzeugung für eine neue Politik entscheiden.

Die Kombination aus Selbstzurücknahme und offenem Eintreten für mehr Menschenrechte und Demokratie prägte die Auftritte Clintons seit seinem ersten Tag auf chinesischem Boden. Der Ton der Ausgewogenheit, den Clinton dabei fand, brachte ihm den größten Erfolg seiner Reise: drei unerwartete Auftritte im chinesischen Fernsehen, bei denen er sich unzensiert an das chinesische Volk wenden kann. (Jiang gestattete die Clinton-Shows erst, nachdem sich der Gast während der politischen Gespräche in Peking konziliant gezeigt hatte.)

„Ich war von den ersten Live- Auftritten eines amerikanischen Präsidenten im chinesischen Fernsehen sehr beeindruckt“, preist nun sogar der hartnäckigste aller chinesischen Demokratieaktivisten, der Hongkonger Rechtsanwalt Martin Lee, am Freitag die China-Taktik Clintons. Zwar fügt Lee hinzu, daß der Tag, an dem nicht nur der US-Präsident, sondern alle Chinesen in China frei reden können, noch nicht in Sicht sei.

Doch wie er glauben viele demokratiebewegte Chinesen heute, daß Clinton im Fernsehen etwas vorgemacht hat, was kein Chinese vergessen kann – zum Beispiel die kontroverse Diskussion mit der KP-Führung über das Tiananmen- Massaker und Tibet. „Ich freue mich auf den Tag, an dem alle Menschen in Hongkong die Rechte und Pflichten vollständiger Demokratie wahrnehmen können“, sagte der Präsident. Die Dissidenten jedenfalls stellten keine Gefahr für die Stabilität eines Staates dar. Keine politische Führung komme ohne die Ideen der Opposition aus.

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international warnte davor, den Clinton-Besuch überzubewerten. Im Südwestfunk erinnerte ai-China-Experte Martin Dlugosch gestern daran, daß es noch immer Tausende politische Gefangene gebe, Folter und Mißhandlungen auch weiterhin an der Tagesordnung seien.

Clinton selbst bezeichnete seiene Reise gestern in Hongkong als Beweis dafür, daß es richtig sei, „direkt, nachdrücklich, aber respektvoll“ mit Peking über die unveränderten Gegensätze zu sprechen.

In jedem Falle ist der Besuch nur ein Anfang. Clinton spricht von den „mächtigen Kräften, die dem Wandel widerstehen“. Sie werden froh gewesen sein, als Clinton gestern das Flugzeug zurück nach Washington bestieg.

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