Stille Tage ohne Berti
: „Ich bin schuld!“

■ Wie ich einmal die Weltmeisterschaft für die Deutschen komplett verbockt habe

Bevor sich die Nation nun darauf einstellt, Schiedsrichter Pedersen aus Norwegen, eine Verschwörung der Fifa, den Rotsünder Christian Wörns, Bundestrainer Vogts oder die geplagten Dauerverdächtigen „Heulsuse“ Möller und „Kanzler“ Kohl für das verfrühte Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft haftbar machen zu wollen, muß ich die Ermittlung der Verantwortlichen leider schon wieder beenden. Denn: Ich bin schuld.

Das mag etwas überraschend klingen, die Indizienkette läßt aber keinen anderen Schluß zu.

Begonnen hat das ganze Unglück an einem sonnigen Samstag vor einigen Wochen, an dem sich die deutsche Nationalmannschaft in Frankfurt gegen Kolumbien für die Weltmeisterschaft warmspielte. Ich saß daheim vorm Fernseher und sah zufrieden dabei zu, wie hübsch sie das machte und zügig Tore schoß, die wirklich prima herausgespielt waren. Wenige Tage später, als kurz vor der Abreise nach Frankreich die armen Luxemburger noch ein wenig verprügelt wurden, ward es mir noch wärmer ums Herz. Diese alten Säcke um ihren kleinkarierten Übungsleiter, ich mochte sie. Völlig klar wurde mir das an jenem Abend in Paris, als wir die USA mit 2:0 schlugen. Dieses „wir“ ist mit Bedacht gewählt, denn plötzlich wurde mir klar, daß ich Fan der deutschen Nationalmannschaft geworden war.

Ich könnte mich nun hinter halbwegs rationalen Erklärungen verstecken, den wunderbar kämpfenden Jürgen Klinsmann oder das ungeheuerliche Kopfballspiel von Oliver Bierhoff loben, den besessenen Kampfgeist eines Jens Jeremies preisen oder den Elder statesman Jürgen Kohler. Auch das mehrfach im deutschen Team auftauchende Motiv des „Alternden“ mag ein gewisses Identifikationspotential geborgen haben. Aber diese Erklärungen erklären nichts. Nachdem ich die Welt kindlicher Naivität verlassen hatte, war ich von „Deutschland“ abgerückt und hatte ich viele Jahre lang die bekannt windelweiche „Wenn sie gut spielen, habe ich auch nichts dagegen, wenn sie gewinnen“- Haltung eingenommen. Nun waren Berti, seine Mannschaft und ich endlich wieder „wir“.

Mancher Leser mag das für politisch bedenklich halten, aber das Desaster war auf andere Weise vorprogrammiert. Denn offensichtlich hat mir der Fußballgott in diesem Leben ein Leiden am „wir“ zugewiesen. Wo ich bin, da gibt es nichts zu lachen. Menschen, die wie ich in den letzten zwanzig Jahren regelmäßig Spiele des VfL Bochum im Ruhrstadion besucht haben, werden wissen, was gemeint ist. Jetzt also Deutschland, oder zunächst einmal Nigeria. Die Afrikaner mit ihrem wunderbar unausrechenbaren Fußball raffte es natürlich schon im Achtelfinale und damit viel zu früh dahin, weil sie meine Sympathien hatten.

Schien das deutsche Team meine Gefolgschaft im ersten Spiel der WM gegen die USA noch gut zu überstehen, hatte ich es gegen Jugoslawien schon am Rand einer Niederlage. Nach 70 Minuten konnten sie sich in Lens glücklicherweise aus meinem Bann lösen und glichen zumindest noch aus. In den nächsten beiden Partien beehrte ich die Mannschaft nicht mehr persönlich, was ihr gegen den Iran das Siegen wesentlich erleichterte; Mexiko hätte sie mit meiner Anwesenheit niemals überstanden. Das Ausscheiden in Lyon war also programmiert, als ich mittags in Paris den Zug betrat. Kein Wunder auch, daß Wörns keine 30 Meter von meinem Platz entfernt die rote Karte erhielt und das 1:0 der Kroaten von der fast gleichen Stelle aus erzielt wurde. Das alles tut mir für die Menschen daheim unheimlich leid und kann nur dazu führen, daß ich ab sofort den Abschied von der deutschen Nationalmannschaft erkläre und mein ruinöses Treiben woanders fortsetze. Tja Brasilien, hier bin ich. Christoph Biermann