■ Nebensachen aus Rom
: Selig sind die Steuerzahler, denn ihrer ist die Wartezeit

Der 30. Juni ist in Italien Zahltag für die Haus- und Grundsteuer. Die italienische Besonderheit dabei: Wo Deutsche bequem per Bankabbuchung bezahlen oder einfach einen Überweisungszettel schicken, verlangt Italiens Staatsfinanz, daß der Steuerzahler zum Postschalter marschiert und dort einzahlt. Verspätung ist nicht ratsam: 40 Prozent des geschuldeten Betrages zahlt als Strafe, wer später als drei Tage nach der Fälligkeit zum Schalter kommt.

Dementsprechend bilden sich an den Zahltagen vor den Postämtern und in den Banken gigantische Schlangen, die sogenannten „Fila“. „Wir sind das einzige Land der Welt“, murrt ein weitgereister Mann neben mir, „das Schlange steht, um Steuern zahlen zu dürfen.“

Dennoch: So leidensvoll alte Frauen sich mit den Zahlscheinen Luft im stickigen Amt zufächeln, so hämisch hurtige Geschäftsleute über die Rückständigkeit der italienischen Bürokratie herziehen, so ungeduldig die meisten immer wieder auf ihre Uhren schauen und stöhnen „Mein Gott, den ganzen Vormittag Fila stehen“ – so wenig scheint es den meisten im Grunde doch auszumachen.

„Oi, Romolo“, ruft einer, der gerade neu hinzugekommen ist, einem zu, der es fast geschafft hat: „Wieder mal zahlen für deine tausend Häuser!“ „Macari“, ruft Romolo zurück, „das wär' was. Dann stünd' ich jetzt nicht hier, sondern säße auf Hawaii.“ „Schön, dich wieder mal zu sehen“, grüßt ein anderer den Leidensgenossen aus der übernächsten Reihe, „wie geht's zu Hause?“ „Gut, sehr gut. Meine Frau hat den Arm gebrochen, aber sonst...“ Nicht der Rede wert also.

Die Frau neben mir nimmt das Stichwort auf: „Hatte ich auch, den Arm gebrochen. Vor drei Jahren. In Bologna, da war ich bei meinen Verwandten. Kennen Sie Bologna?“ Noch ehe ich antworten kann, hat schon einer nebenan gemeldet, daß er ganz aus der Nähe von Bologna stammt: Aus Casalecchio. Ob die Frau vielleicht dort war? Nein, war sie nicht. Aber in San Lazzaro...

Von hinten drängt sich ein großgewachsener Mittsechziger in die Mitte. „Halt“, rufen drei alte Frauen, die sich seitlich auf die Heizkörper gesetzt haben, „das ist unser Platz!“ „Natürlich, natürlich“, sagt er, „ich halt' Ihnen die Plätze.“ Dann grüßt er: „Ei, Angelo“ nach rechts, „Signora Roselli“ nach links. „Ach“, sagt die Frau neben mir, „das ist Armando di Mario, der Leiter des Fremdenverkehrsamtes.“ „Der Ex-Leiter“, verbessert der Mann freundlich, „seit April bin ich in Pension. Und seither habe ich eine Bar mit kulturellem Betrieb, gleich hinter dem Sportpalast.“ Kennen alle, den Sportpalast. „Und da sollt ihr alle mal kommen. Ich mache da jeden Abend Programm.“ Ehrfurchtsvolles Tuscheln. „Mal Rockmusik, mal Theater, mal was für die Alten.“ Und wie durch Zaubertrick hat er plötzlich einen Stapel Reklameheftchen in der Hand, die er nun unter den Umstehenden verteilt. „Da steht alles drauf, was wir so machen. Also kommt, ist wirklich gut bei mir.“

Er kann sicher sein, daß seine Reklame auf fruchtbaren Boden fällt. Zufrieden drängt er sich, obwohl mittlerweile fast am Schalter angelagt, wieder nach hinten. „Ei, wolltest du nicht die Steuer zahlen?“ fragt ihn Frau Rosella. „Nee“, sagt Armando di Mario, „hab' ich schon vor einer Woche gemacht.“ Er lacht freundlich, dann marschiert er hinaus – zum nächsten Postamt, Reklameheftchen austeilen. Zumindest für ihn lohnt es, sich in die „Fila“ einzureihen. Werner Raith