Grüne kurven zum Tempolimit

■ Die verkehrspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Gila Altmann, sorgt mit einem "Bild"-Bericht für Aufregung. Dabei ist Tempo 100 seit langem Beschlußlage der Partei

Wieder einmal hat ein Bericht der Bild-Zeitung eine Kontroverse über das grüne Wahlprogramm ausgelöst. Am Samstag zitierte das Springer- Blatt die verkehrspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Gila Altmann, mit der Forderung nach einem generellen Tempolimit: „In Koalitionsverhandlungen mit der SPD wollen wir versuchen, Tempo 100 auf Autobahnen und 80 auf Landstraßen durchzusetzen.“ Es sei „erwiesen, daß sich ein Tempolimit positiv auf Verkehrssicherheit und Verkehrsfluß sowie auf Lärm- und Abgasentwicklung auswirkt“. In Städten solle generell Tempo 30 gelten.

Gestern nun distanzierte sich überraschend ihre Namensvetterin Elisabeth Altmann, ihres Zeichens bildungspolitische Sprecherin der bündnisgrünen Fraktion in Bonn, von Gila Altmanns Forderung. Diese sei ein „grüner Irrweg“. Verkehrspolitische Einzelgänge stellten ein erfolgreiches Abschneiden bei den Bundestagswahlen in Frage. Seit Jahren herrsche innerhalb der Partei Konsens über ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern. Elisabeth Altmanns Erklärung sorgte gestern für Unmut in der Partei, nachdem zuvor Fraktionschef Joschka Fischer sich klar für Tempolimits ausgesprochen hatte. Der Pressesprecher der Partei, Harald Händl, wies gegenüber der taz darauf hin, daß Elisabeth Altmann offenbar nicht die Beschlußlage der Partei kenne. Diese sei eindeutig. Auf Autobahnen werde ein generelles Limit von 100, für Landstraßen von 80 und für innerstädtische Bereiche von 30 gefordert. Im übrigen werde über Tempolimits erst nach der Bundestagswahl vom 27. September verhandelt.

Auch hatte die Grünen-Fraktion in der Vergangenheit in zwei Anträgen im Bundestag gefordert, die Straßenverkehrsordnung zu ändern und in Ortschaften Tempo 30, auf Landstraßen 80 und auf Autobahnen 100 vorzuschreiben. Dem jüngsten Vorschlag des Umweltbundesamts, in Ortschaften mit Ausnahme der Hauptstraßen Tempo 30 einzuführen, weil so Unfälle, Lärm und Schadstoffe deutlich verringert würden, hatte sogar die SPD in Bonn zugestimmt.

Wie sensibel die Grünen auf den Bild-Bericht reagierten, zeigte die gestrige Reaktion der Verkehrsexpertin Gila Altmann, die die Wirkung ihrer Erklärungen offenbar unterschätzt hatte. Ihre Aussagen über die Einführung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen seien von Bild verdreht, ein „ungenießbarer Kompott“ zum Zwecke des Wahlkampfs zusammengebraut worden. In ihrer gestrigen Erklärung nannte sie nun keine konkreten Zahlen mehr für Tempolimits. Es sei allerdings richtig, „daß es das vorrangigste Ziel innerhalb der Diskussion um das Tempolimit ist, überhaupt eine Geschwindigkeitsreduzierung auf Autobahnen zu erreichen“. Wie hoch diese dann ausfalle, sei „Verhandlungssache zwischen den Koalitionspartnern“. Die Wahlkampfvorlage von Bild nahmen CDU und SPD am Wochenende auf. CDU-Generalsekretär Peter Hintze sprach von einem „Schleichzwang auf Autobahnen“. SPD-Spitzenkandidat Gerhard Schröder wandte sich ebenfalls gegen Tempolimits. Derartige Forderungen zeigten, daß bei den Grünen „offenbar eine große Lust am Untergang ausgebrochen“ sei.

Nach der jüngsten Umfrage des Bundesumweltministeriums in Bonn ist die Zustimmung der Bundesbürger zu allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen nach wie vor hoch. 55 Prozent erklärten sich damit einverstanden. Allerdings hat die Zustimmung in den letzten sieben Jahren abgenommen. Noch 1991 erklärten sich 71 Prozent der Bundesbürger mit einem Tempolimit - dessen Höchstgrenze in den Umfragen allerdings nicht näher definiert war – einverstanden. Severin Weiland

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