Einstürzende Dauerregenten

■ Nichts geht mehr, nicht einmal der Auftritt des Kanzler nutzt. Kohl vor Ort hilft weder ihm noch der Nationalmannschaft. Schröder ist da schlauer

Kohls Präsenz im Stadion habe der deutschen Nationalmannschaft schon immmer Glück gebracht, schwärmte Vogts noch vor dem Match. Pech gehabt, Berti! Seine müden Kämpen schienen auch angetreten zu sein, um dem Männerfreund im Kanzleramt doch noch aus der demoskopischen Patsche zu helfen. Nochmals wollten sie sich in Schweinchen- Schlau-Manier ins Finale mogeln, getreu der furchteinflößenden Wiedervereinigungsparole Beckenbauers: „Es tut uns leid für den Rest der Welt.“ So gut konnte die DFB-Elf aber nicht einmal in ihren kühnsten Träumen kicken, wie sie hätte müssen, um den stürzenden Dauerregenten doch noch zu retten. Da läuft nichts mehr zusammmen – außer Dolchstoßlegenden und Medienschelten.

Derweil lief Herausforderer Gerhard Schröder nicht in die WM-Falle, in die schon mancher Spitzensozi getappt war. Als 94 Schröders Vorgänger Scharping eine Legislatur zu vorschnell über das „Auslaufmodell Kohl-Vogts“ lästerte, mutierte ihn Bild zum vaterlandslosen Gesellen. 1996 sahen SPD-Hinterbänkler sogar eine Kanzlerattacke gegen die Errungenschaften des Sozialstaates, nachdem Kohl in der Siegerkabine von Wembley Bertis bandagierte Durchhaltekicker gegen die Segnungen der Lohnfortzahlung auszuspielen versuchte.

Schröder bewies Gespür. Er besuchte die deutsche Mannschaft trotz einer scheinheiligen Einladung des DFB nicht. Nachdem Kohl den Nationalmannschaftsfußball zur Chefsache und den Coach zur Herzensangelegenheit erklärte, gab es für einen wie Schröder dort nicht viel zu holen. Wer einen wie Stollmann ins Kabinett haben möchte, geht bei Klinsmann nicht mehr Klinken putzen. Zudem gilt: Mit Struck an der Seite, hat man Berti genug.

Lange vor Kohls Gelage in Nizza hatte der Kandidat in einer Pressemitteilung der Weltmacht Fußball seine Reverenz erwiesen. Bei TuS Talle sei er einst – na, was wohl? – Mittelstürmer gewesen. „Acker“ habe man ihn mit Spitznamen gerufen, weil er sich „immer voll reingehängt“ und „über den Kampf zum Spiel“ gefunden habe. Oh, das klingt verdammt nach Bertis Fußball- Einmaleins! Dürfen wir also unter Kanzler Schröder keine andere Nationalmannschaft erwarten? Dieser Tage macht in Bonn der Spott die Runde, im Gegensatz zu Vogts müsse sich die SPD mit keinem Dreißigjährigen herumärgern. Vielleicht sollte der Kandidat seinem eurokritischen Herzen einen Schubs geben und Johan Cruyffs Ernennung zum neuen Bundestrainer betreiben. Norbert Seitz