Wo die Orangenen blühen

Für Nordirlands Protestanten stiften die umstrittenen Paraden Identität – gegen die Katholiken  ■ Aus Portadown Ralf Sotscheck

In der Bücherei von Portadown befindet sich ein Heiligtum der Oranier: die bestickte Satteldecke, auf der Wilhelm von Oranien, der Namensgeber des Ordens, am 12. Juli 1690 in die Schlacht am Boyne geritten sein soll. Der kurz zuvor vom Londoner Parlament aus den Niederlanden importierte König von England besiegte damals seinen katholischen Widersacher und Schwiegervater James II. und sicherte dadurch die protestantische Thronfolge. Jahrestag der Schlacht am Boyne ist der Höhepunkt der protestantischen Marschsaison, für die sich die Ordensmitglieder mit Bowlerhüten, schwarzen Anzügen, weißen Handschuhen und orangenen Schärpen kleiden. Es gibt 3.000 Paraden im Jahr, bei der aller möglichen Schlachten gedacht wird. Gestern in Drumcree ging es zum Beispiel um die Schlacht an der Somme im Ersten Weltkrieg, in der ein nordirisches Bataillon der britischen Armee verheizt wurde.

Doch Drumcree ist längst zum Inbegriff für eine neue Schlacht geworden. Seit vier Jahren ist es hier am ersten Sonntag im Juli regelmäßig zu Straßenschlachten gekommen. Vor zwei Jahren legte der Orden ganz Nordirland drei Tage lang mit Barrikaden lahm, bis die Polizei der verbotenen Parade doch noch die Straße freimachte. Ein Jahr zuvor hatte sich der heutige Premierminister Nordirlands, David Trimble, in Drumcree den Ruf als Hardliner erworben, als er gemeinsam mit dem rechtsradikalen Pfarrer Ian Paisley bei den Konfrontationen in vorderster Front stand und vorübergehend festgenommen wurde. Sein harter Kurs hatte Erfolg – ein Vierteljahr später wählte ihn seine „Ulster Unionist Party“ (UUP) zum Vorsitzenden.

Nun hat Trimble die Geschichte eigeholt. Als designierter Premierminister, zu dem ihn das nordirische Regionalparlament am vergangenen Mittwoch gewählt hat, mußte er in den vergangenen Tagen versuchen, einen Kompromiß zu finden. Die Hardliner haben sich von Trimble längst abgewendet, sie werfen ihm Weichheit und Verrat vor. Am Mittwoch verbrannten sie in Portadown – wie in jedem Jahr – eine Strohpuppe des „protestantischen Verräters“ Lundy, der vor mehr als 300 Jahren die belagerte Stadt Derry an die Truppen von James II. ausliefern wollte. Diesmal stünde die Strohpuppe auch für Trimble, so sagten die Organisatoren.

Der Oranier-Orden ist 1795 als protestantischer Geheimbund mit antikatholischer Ausrichtung gegründet worden. Wer eine katholische Kirche besucht oder gar eine Katholikin heiratet, wird ausgeschlossen. Der Orden hat 80.000 Mitglieder, ihm gehören alle führenden Politiker der unionistischen Parteien an, darunter auch Trimble. Die Parade in Portadown findet seit 191 Jahren statt. Als 1969 der Nordirland-Konflikt ausbrach, war das Viertel um die Garvaghy Road von Katholiken und Protestanten bewohnt. Im Zuge der Auseinandersetzungen wurden die Arbeiterviertel immer stärker segregiert, so daß in diesem Teil Portadowns heute fast nur noch Katholiken leben. Lediglich in einer Seitenstraße am Ende der Garvaghy Road, wo der Oranier- Orden einen Triumphbogen errichtet hat, leben ein paar Dutzend Protestanten. Einer von ihnen, Ivor Young vom „Bürgerkomitee besorgter Protestanten“, sagte, die Parade sei ein wichtiger Ausdruck protestantischer Identität.

Warum ein 400 Meter langes Stück einer ausgesprochen häßlichen Straße zu einer solchen Symbolkraft gelangt ist, daß dort der gesamte nordirische Friedensprozeß in Gefahr geraten kann, verstehen Außenstehende nur schwer. Für die Protestanten, die Nordirland 50 Jahre lang mit einer Art Apartheidregime beherrscht hatten, symbolisieren die Paraden einen letzten Rest an Überlegenheit, die sie im Zuge des Friedensprozesses Stück für Stück aufgeben sollen. Für die katholischen Anwohner, mit denen weder die Oranier, noch die britischen und irischen Politiker auf der Suche nach einem Kompromiß direkt gesprochen haben, ist die Parade dagegen eine Provokation. Vor fünf Jahren hatten die Katholiken die Parade akzeptiert, weil man ihnen versprochen hatte, im folgenden Jahr darauf zu verzichten. Das geschah nicht, und so vertrauten sie dem Oranier-Orden diesmal nicht, als er ein Forum aus Nationalisten, Unionisten und Regierungsvertretern anbot, falls die Parade ungehindert stattfinden könne. Die Bewohner hatten dagegen eine Atempause für dieses Jahr gefordert; im nächsten Jahr sollte der Orden wieder marschieren dürfen. Das hatte auch die von der Londoner Regierung eingesetzte Kommission entschieden, als sie vor einer Woche die Parade verbot.