Prognose? Prognosen!

„Herr Vogts, soll ich die Leistung hier rübertragen?“: Die taz-Rangliste der deutschen WM-Fußballer und ihre Perspektiven die WM 2002 betreffend  ■ Von
Peter Unfried

1. Oliver Bierhoff (30): „Letztlich zählt das Ergebnis. Da geht jede persönliche Leistung total unter.“ Nein. Bierhoff verifizierte mit drei WM-Toren die Vermutung, er gehöre zu den kopfballstärksten, klügsten und effektivsten Stürmern der Welt. Prognose: 2002 leider schon 34.

2. Jürgen Klinsmann (33): „Hey, der war ein Guter!“ Wollte Kapitän eines Weltmeisterteams werden, aber nicht sehen, daß das Team nicht weltmeisterreif war. Dennoch: Klinsmann hat seine Karriere mit 108 DFB-Spielen, 47 Toren, seiner dritten guten WM und elf WM-Treffern abgeschlossen. Prognose: Ehrenspielführer.

3. Christian Wörns (26): „Gelb wäre okay gewesen.“ Gilt trotz des durch Naivität entstandenen Platzverweises gegen Kroatien wegen solider Abwehrarbeit als legitimer Nachfolger Kohlers. Prognose: Legitimer Nachfolger Kohlers.

4. Jürgen Kohler (32): „Wieso werden immer nur wir Deutsche bestraft?“ Hauptverschwörungstheoretiker. Aber Hand aufs Herz, wie er es selbst bei der Hymne zu halten pflegte: Wer hätte gedacht, daß Kohler (105 DFB-Spiele) mal vor Beckenbauer rangieren würde? Der „Hüne aus Lambsheim“ (FAZ) tat, was er konnte. Prognose: Demnächst Tränen beim Abschiedsspiel.

5. Olaf Thon (32): „Es passieren die dollsten Dinge.“ Leider ja, was ihn betrifft. „Ich habe nicht schlecht gespielt“, sagt Thon. Er hat recht. Prognose: Wird das Telefon nicht mehr abnehmen, wenn Vogts anruft.

6. Lothar Matthäus (37): „Mein Verhältnis zum Trainer ist top.“ Spielte „im Interesse des deutschen Fußballs“ (Vogts) und wurde mit solider Arbeit und sparsamer Rhetorik deutscher Gewinner der WM. Prognose: Wird Vogts mit einer Bild-Serie danken (“Was ein Lothar Matthäus als Bundestrainer alles besser macht“).

7. Dietmar Hamann (24): „Ich habe mich nicht so schlecht gesehen.“ Wenige erwarteten von ihm, er werde in Frankreich aufsteigen, wie dereinst Beckenbauer in England. Das tat er dann auch nicht. Hatte aber Phasen. Prognose: Demnächst Führungskraft.

8. Andreas Köpke (36): „Es ist ja nicht so, daß ich keinen Ball halte“. Nur ein richtiger Fehler, aber einige Tore, die man nicht halten muß, aber darf. Beerdigte als erratische Nr. 3 nach Schumacher und Illgner den Mythos vom deutschen Superkeeper. Prognose: Wird weder TV-Experte noch Bundestorwarttrainer.

9. Jens Jeremies (24): „Mein Spiel ist nach wie vor sehr verbesserungsbedürftig.“ Anfangs sah es so aus, als würde er die Arbeitsweise des Deutschen symbolisieren. Am Ende konnte er froh sein, daß er es nicht tat – oder es war das Problem. Prognose: Wird sein Spiel verbessern.

10. Michael Tarnat (28): „Man hofft immer, daß man mal ein paar Minuten spielt.“ Erfolgreiche WM. Spielte viel, flankte hin und wieder, schoß hart. Andererseits: Daß er soviel spielte, flankte und schoß, beweist die Mittelmäßigkeit des Teams. Prognose: Verschwindet still und leise.

11. Thomas Häßler (32): Hat mit 97 DFB-Spielen Vogts (96), Maier und Rummenigge (95) überholt. Bereitete Tore vor, hat aber wie 1990, 94 und 96 keinen breitenwirksamen Erinnerungswert. Prognose: Wird trotzdem nicht als Kleiner in Geschichte eingehen.

12. Jörg Heinrich (28): Ging immer schnell durch die Mixed Zone. Keiner hinderte ihn daran. Nun weiß keiner, was er für eine WM hatte. Prognose: Schwer zu sagen.

13. Ulf Kirsten (32): „Der Trainer kann gar nicht an Klinsmann und Bierhoff vorbei.“ Drei Einwechslungen, ein Fortschritt: 1994 hatte er gar nicht gespielt. Prognose: Back to the roots.

14. Thomas Helmer (33): „Was soll ich sagen?“ Nur Vogts rechnete noch mit einem der prägenden Spieler der 90er Jahre – und mußte ihn „deshalb auch bringen“ – obwohl er nicht in Topform war. Prognose: Wird nicht in kollektiver Erinnerung bleiben.

15. Christian Ziege (26): „Da kam dieser Virus.“ Kam verletzt und krank nicht in Form, wurde beleidigt und weinte. Prognose: Wird nach Bierhoff Kapitän.

16. Andreas Möller (30): „Schatzi, hör zu.“ Figur mit tragischen Zügen. Er selbst wird glauben, sein erstes WM-Tor und zwei im Trainingsspiel bewiesen Aufwärtstrend. Prognose: Noch mehr geschmacklose Schatzi-Witze.

17. Markus Babbel (25): Gilt als Zukunftshoffnung in der Nach- Kohler-Zeit, zumindest bei Kohler und Babbel. Mexiko-Spiel läßt alle anderen zweifeln. Prognose: Stammplatz in Schafkopfrunde.

18. Oliver Kahn (29): Saß wie verabredet still seine zweite WM ab. Wird wie verabredet demnächst im Tor stehen. Und zwar mindestens mal für ein Jahrzehnt. Prognose: Trotzdem keine WM.

19. Olaf Marschall (32): „Ich kann hier natürlich keine Ansprüche stellen.“ Erfüllte seine Funktion, indem er keine Ansprüche stellte. Prognose: Kann künftig keine Ansprüche stellen.

20. Stefan Reuter (31), Jens Lehmann (28): siehe Marschall.

22. Steffen Freund (28): „Jawoll, Herr Vogts.“ Trug die Trainingstore und sein Los und wurde dafür von Presse (“Der hochbegabte Mittelfeldspieler“, The Guardian) und Kollegen (“Dr. Schleim“) verspottet. Prognose: Künftig Leistungsträger (“Herr Vogts, soll ich die Leistung hier rübertragen?“)