Ökobewegung als Popanz

Das Lexikon der Öko-Irrtümer von Dirk Maxeiner und Michael Miersch ist nicht frei von Irrtümern und Überzeichnungen der Ökologiebewegung  ■ Von Matthias Urbach

Aufklärung ist gut. Schließlich gibt es genug Vorurteile: etwa, daß man sich die Augen beim Lesen im Dunkeln verdirbt, daß sich die Zahl der Arbeitslosen bis 2000 halbieren ließe oder daß Fußball-Nationalmannschaften mehr über die Flügel spielen müssen.

Dirk Maxeiner und Michael Miersch sind nun der Meinung, das eine Spezies besonders zu Vorurteilen und Vereinfachungen neigt: der Umweltschützer. Und deshalb haben sie ein „Lexikon der Öko- Irrtümer“ zusammengetragen, das dieser Tage im Eichborn-Verlag erscheint.

„Naturvölker gehen besser mit der Natur um“, „regenerative Energien sind grundsätzlich gut für die Umwelt“, „Bahnfahren ist grundsätzlich umweltfreundlich“ oder „Elefanten sterben aus“, so einige der vielen Vorurteile, denen Maxeiner und Miersch auf 400 Seiten den Garaus bereiten wollen. Zwei Jahre nach ihrem Buch „Öko-Optimismus“, in dem sie bereits mehr Pragmatismus und eine Abkehr von „Untergangsszenarien“ gefordert haben, lassen die Autoren eine Art Beweisliste folgen. Dabei wähnen sie sich im Kampf gegen ein übermächtiges Katastrophenkartell. Sie ahnen, daß ihre Sammlung in der Häufung „für manchen schwer zumutbar“ sei. Aber „soll man im Dienste der guten ökologischen Absicht schweigen?“

Als Beweis für die Hegemonie der Ökos bemühen die Autoren die Greenpeace-Aktion gegen die Brent Spar: „Shell hatte gegen den grünen Moralmulti nie den Hauch einer Chance“, schreiben sie. Doch das ist nichts als ein Popanz, denn die damaligen Kontrahenten sind sich heute einig, daß Greenpeace nie Erfolg gehabt hätte, wenn die Shell-Manager den Besetzern Decken und Tee auf die Plattform gebracht hätten, statt zu versuchen, sie mit Wasserkanonen ins Meer zu spülen.

Doch für die Autoren steht fest: „Umweltschutz ist längst sakrosant geworden.“ Eine Einschätzung, die spätestens seit der Wiedervereinigung als überholt gelten darf, wenn sie in dieser Schärfe überhaupt jemals galt. Damals flogen die Westgrünen aus dem Bundestag, weil sie mit der Klimakatastrophe für einen Wechsel warben. Und im derzeitigen Wahlkampf werden sie wieder mit einer Ökoforderung nach der anderen, ob Energiesteuer oder Tempolimit, durch die Gazetten geschleift. Und die Umweltverbände gehen vorsichtig in Deckung. In der jüngsten Umfrage des Bundesumweltministeriums rutschte der Umweltschutz auf den vierten Rang hinter Jobs, Kriminalität und der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. So beginnt das Buch von Maxeiner und Miersch selbst mit einem „Öko-Irrtum“.

Doch Aufklärung ist gut. Und von dieser Seite läßt sich dem Buch einiges abgewinnen. Amüsant entkräften sie beliebte Vorurteile wie „Omas Küche war gesünder“, „Papiertüten sind besser als Plastiktüten“ oder „moderne Arzneimittel schaden mehr, als sie nutzen“. Viele Beispiele sind gut recherchiert und zusammengetragen. Die „überraschenden Fakten“ sind zwar meist gar nicht so überraschend, stammen sie doch überwiegend aus Zeitungsartikeln. Eine beeindruckende Zusammenstellung ist es dennoch.

Leider genügen die beiden „Öko-Realisten“ oft ihren eigenen aufklärerischen Ansprüchen nicht. Etwa bei der Entkräftung des „Vorurteils“, es würden immer mehr Pestizide eingesetzt. Zu Recht verweisen die Autoren darauf, daß sich 1995 die Menge der Pestizide auf den Feldern gegenüber 1990 halbiert hat. Doch sie verweisen nicht genügend darauf, daß das Pestizidgewicht kein gutes Maß für die Giftigkeit ist. Denn in den vergangenen Jahren wurden immer neuere Wirkstoffe erfunden, die schon in viel kleineren Dosen Insekten und Unkraut vertilgen als die alten. Kleinere Dosen sind eben nicht automatisch harmloser, ganz abgesehen davon, daß auch die Absatzmenge seit 1993 wieder steigt. Unterm Strich mag es besser geworden sein, aber längst nicht in dem Maße, wie das die Autoren suggerieren.

Zweifel sind auch angebracht, wenn die Autoren entkräften wollen, daß „die Weltbevölkerung unaufhörlich wächst“. Bislang ist nur klar, daß sich das Tempo des Wachstums verlangsamt hat. Die Zahl der Menschen freilich nimmt weiter zu, bis 2050 auf irgend etwas zwischen acht und elf Milliarden. Jetzt schon zu meinen, danach komme das Wachstum zum Erliegen, ist reine Spekulation.

Die Autoren spotten über Umweltschützer, die vor knapp 30 Jahren prognostizierten, bis 2000 würden die Ölvorräte erschöpft sein. Das hat sich zwar als falsch erwiesen, doch die Fehlschätzung von einst beruhte unter anderem auch auf den völligen Fehleinschätzungen des Wachstums des Energiebedarfs seitens Regierungen und Energiekonzernen. Das unterschlagen die Autoren.

Lächerlich wirkt der Versuch der Autoren, Gentechnik als etwas Natürliches darzustellen, umweltfreundlicher als das Züchten, weil es „gezielter“ sei: „Während früher wild drauflosgekreuzt wurde, können heute erwünschte Eigenschaften im Erbgut isoliert und dann übertragen werden.“ Damit sitzen die Autoren selbst einem Mythos auf. Denn die Gentechnik ist alles andere als zielgenau, meist ist nicht klar, wo sich das neue Gen anlagert und wie es wirken wird. Außerdem müßte dieser Logik entsprechend Sex etwas Schlechtes sein, denn schließlich werden dabei ja auch Gene wild gemixt.

Abstrus sind auch die Versuche, den Treibhauseffekt wegzudiskutieren. Das reicht bis zum Versuch, mit einer Temperaturkurve vom Wetterhaus Berlin-Dahlem gegen eine globale Erwärmung zu argumentieren. Das ist die gleiche Verdummung, die auch in den übrigen Thesen Maxeiners zum Treibhauseffekt zu finden ist.

Ärgerlich wird es, wenn die Autoren Vorurteile erfinden, um sie dann entkräften zu können: etwa die angebliche Fixierung der Ökos auf das Dreiliterauto, die nichts bringe. Natürlich nicht. Darum verweisen Umweltschützer auch auf den Verbrauch der gesamten Modellpalette. Und der ist zum Beispiel bei VW nach deren Angaben seit zehn Jahren gleich hoch geblieben – trotz aller Debatten. Gerade das Dreiliterauto wird doch von der Industrie auch als Ablenkung hochgehalten („wir forschen mit Hochdruck daran“), während gleichzeitig Pkws wie der Chrysler Viper produziert werden: mit 33,5 Liter Spritverbrauch auf 100 Kilometer.

Maxeiner und Miersch meinen ein Muster im Entstehen der Untergangsszenarios erkannt zu haben: „Erstens: Ein Wissenschaftler erkennt ein Problem. Zweitens: Ein Journalist vereinfacht es und bläst es mächtig auf. Drittens: Umweltschützer klären, wer die Guten und wer die Bösen sind. Viertens: Jetzt schlägt die Stunde der Bürokraten und Konferenzen. Fünftens: Die ersten Skeptiker treten auf. Zu guter Letzt: Die Jahre sind vergangen, und es ist niemand mehr da, der an seinen einstigen Vorhersagen gemessen werden möchte. Die einstigen Akteure sind längst auf einen anderen Katastrophenzug gesprungen.“ Das ist gut beobachtet (und stand, by the way, genau so bereits im britischen Magazin economist). Allerdings könnte man hier Umweltschützer auch durch Gewerkschafter, Industrielle oder Politiker ersetzen. Aber Maxeiner und Miersch machen es nicht anders: Sie überließen den exklusiven Vorabdruck ihres Buches ausgerechnet der Bild-Zeitung. Die bläst auf Seite 1 das Ganze lieber zu „Öko-Lügen“ der „Umweltorganisationen“ auf und vereinfacht noch ein bißchen.

Die Autoren wähnen sich in einem Glaubenskrieg. Ihr Credo: „Die Umwelt zählt – und nicht die Interessen der Umweltverbände oder der Umweltparteien.“ Ein gänzlich unpolitisches Verständnis. Und eine maßlose Überschätzung der Sanktionsmacht der Ökoverbände in der Verhandlungs- Demokratie. Warum wohl bemühen sich Umweltschützer seit Jahren um pragmatische Lösungen genauso selbstverständlich wie um Bündnisse mit Gewerkschaften und der Industrie? Die Autoren setzen den lästigen Umweltschützern die alte Macht der Technik entgegen: „Es werden vermutlich die Ingenieure sein, die das Menschheitsproblem Energieversorgung lösen und nicht die Ideologen.“ Das endgültige Rollback – hier scheint wieder die Arroganz der Moderne auf, die ja erst den Aufstand der Laien heraufbeschwor, die Umweltbewegung ins Leben rief. Ach, es könnte alles so einfach sein, glaubt man den Autoren: „An die Stelle der heutigen Umweltbewegung wird etwas Neues treten“, prophezeien sie ganz optimistisch. Nämlich „überraschende Koalitionen“. Die werden am Ende vielleicht ganz groß und gar nicht so überraschend sein.

Dirk Maxeiner/Michael Miersch: „Das Lexikon der Öko-Irrtümer“. Eichborn Verlag, 400 S., 44 DM