Die Doppelhelix ersetzt das Lichtbild

Andrew Niccols „Gattaca“ zeigt eine biotechnische Zukunft, in der die genetischen Codes alle Beziehungen dominieren. Der SciFi-Thriller setzt Orwells „1984“-Phantasien in geschmackvollem Dekor fort  ■ Von Brigitte Werneburg

Daß Vincent Jerome wirklich ähnlich sähe, läßt sich nicht behaupten. Dennoch geht Vincent im Gattaca-Konzern als Jerome durch, als der Elitepilot, der demnächst zum Titan starten wird. In jener nahen Zukunft, in der Andrew Niccol seinen Film „Gattaca“ angesiedelt hat, achtet niemand mehr groß auf physiognomische Unterschiede. Alle schauen nur noch auf den Gen-Code. Er hat das Identitätsmerkmal der Physiognomie und ihr reproduzierbares Abbild, das Foto, restlos ersetzt. Als Irene (Uma Thurman), eine Kollegin von Jerome, der Vincent (Ethan Hawke) ist, das Doppelspiel entdeckt – und deckt –, scheint es für einen Moment, als ob ihre Liebe nun dem genetisch wahren Jerome (Jude Law) gilt, so sehr programmiert sie ihre Wahrnehmung auf dieses Charakteristikum. Daß Jerome querschnittsgelähmt ist, fällt kaum ins Gewicht. Schwer wiegt dagegen in der neuen Klassengesellschaft, daß Vincent, der nun in den Fokus der Kamera gerät, der genetische Invalide ist.

In diesem Verwirrspiel der Liebe und der Gene – schließlich quälte sich Jerome zuvor eine der DNA-Doppelhelix nachgebaute Wendeltreppe hoch, nicht um sich, sondern um Vincent zu retten – hat Gattaca seinen brisantesten Moment: Denn ist die menschliche Liebe, die sexuelle Orientierung nicht womöglich genetisch gesteuert? Die Ebenen sind mindestens so doppelt codiert wie der String der DNA, und die Schnitte, die Drehbuchautor Niccol in die Erbanlagen seiner Geschichte macht, um die Tradition des gesellschaftspolitischen Science-Fiction-Romans à la Huxley, Orwell oder Lem in einem neuen Code zu arrangieren, funktionieren hier am besten.

Freilich ist der Plot im neuen Arrangement recht harmlos geraten. Seit wenigen Wochen wissen wir, daß es der Speicheltest ist, der den Übeltäter überführt. Nicht das Blut in der künstlichen Fingerkuppe oder der Urin aus dem umgeschnallten Plastikbeutel. Doch wie sollte glaubhaft dargestellt werden, daß Vincents Mundhöhle die von Jerome ist? Die totale Gen-Kontrolle, die „Gattaca“ beschwört, wäre nur durch die Revolte zu brechen. Das traut sich aber der Film in seinem typischen Hollywoodmuster nicht zu sagen. Hier soll das Durchkommen eines einzelnen bedeutsam sein, allein es ist noch nicht einmal glaubhaft. Selbst wenn Vincent dieses Kunststück zu gelingen scheint.

Vincent wurde noch auf natürlichem Wege gezeugt, in einer Zeit, die verlangt, daß der Nachwuchs unter kontrollierten Bedingungen im Labor entsteht, aus einem Mix der besten Erbanlagen der Eltern. Herausragende Pianisten haben in dieser Welt auch schon mal zwölf Finger. Vincent hat nur ein schwaches Herz. Er ist kurzsichtig, seine Lebenserwartung gering, er gehört zum Müll der Gesellschaft, und daher darf er froh sein, als Müllmann bei Gattaca zu arbeiten. Bis er mit Hilfe eines DNA-Maklers Jerome Eugene Morrow trifft, dessen genetische Spitzenwerte ihn für die größte Karriere befähigten. Leider sitzt Jerome nach einem Unfall im Rollstuhl. Und weil in dieser Zukunftsgesellschaft, in der man alles haben kann, Intelligenz allein nicht zählt, machen Vincent und Jerome einen Deal. Körpersäfte – also Gencode und neue Identität – gegen Geld. Brennender Ehrgeiz gegen das Entstehen einer großen Freundschaft, die im Spiel von Ethan Hawke und Jude Law die gelungensten Filmszenen liefert.

Wenn „Gattaca“ nicht der große Film wurde, der er hätte werden können, liegt der Grund im allzu bescheidenen Ziel, daß einer gegen den Monsterkonzern gewinnen möge, was eine eher mäßige Kriminalgeschichte nach sich zieht. Dann liegt es an dem wenig ideenreichen Einfall, daß einer gegen alle Voraussagen sein Glück findet, was eine mäßige Liebesgeschichte nach sich zieht, die nur einmal auf ihren Punkt kommt. Dann liegt es an der symbolisch verkürzten Geschichte der Bruderrivalität, die gleichzeitig zu aufdringlich ins Bild gesetzt wird. Das freie Meer, in dem Vincent und sein gentechnisch perfekter Bruder Anton nicht nur um Sieg oder Niederlage, sondern um ihre Lebensentwürfe wettschwimmen, ergibt eben nur einmal ein eindringliches Bild. Auch dann, wenn die kühle Eleganz der Kameraführung und der extrem stilvollen Filmarchitektur überzeugt. Auch hier wurde das Erbgut rasant neu kombiniert. So fährt auf dem leergeräumten Firmensitz, der an die Staudammarchitektur in Margret Bourke-Whites New-Deal-Fotografien erinnert, ein Citroen DS vor. Und wieder denkt man: welch unvergleichlich schönes Auto.

„Gattaca“, Buch und Regie: Andrew Niccol; mit Ethan Hawke, Uma Thurman, Jude Law, Alan Arkin, Gore Vidal u.a., USA 1997, 112 Min.