Frankfurt gibt es nicht

■ West-östliche Annäherungen zwischen Atemlosigkeit und Kontemplation: "Frankfurt oder Frankfurt", ein Doppelfeature von Luc Jochimsen und Volker Koepp (21.30 Uhr, ARD)

Eine westdeutsche Journalistin, Luc Jochimsen porträtiert Frankfurt an der Oder, ein ostdeutscher Dokumentarist, Volker Koepp, Frankfurt am Main. Die Idee ist vielleicht weniger originell, als es scheint. Sie siedelt nah am Klischee: Zu befürchten sind westliche Elendsbilder von der armen östlichen Provinz, östliches Unverständnis der reichen westlichen Bankmetropole. „Frankfurt oder Frankfurt“ ist ein Doppelfeature geworden, dem man in der Tat die west-östlichen Unterschiede ansieht; freilich anders als vermutet. Die Differenz spiegelt sich eher in den Bildern, in Haltung und Tempo der Filme.

Luc Jochimsen, Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, geht forsch ans Werk. Man erfährt allerlei Wissenswertes: wie viele Einwohner, Arbeitslose, Ausländer Frankfurt an der Oder hat, wie viele Juden hier vor 1933 lebten. Man erfährt, daß der Stadt das rechte urbane Zentrum fehlt, die Mittelschicht abwandert, es den Theatern schlechtgeht, weil Geld fehlt, daß die Kirchen noch immer leer sind, während sich die Jugendweihe größter Beliebtheit erfreut. Kaum ein Bild sieht man länger als drei Sekunden, dann folgt ein Schnitt, eine neue Information, ein neues Thema. Jochimsen scheint diese Stadt im Sauseschritt zu erobern. Alles kommt ordnungsgemäß vor: vom Schicksal der verwaisten sowjetischen Kasernen bis zur neugegründeten Universität Viadrina. Journalistisch ist das respektabel. Aber woher diese Atemlosigkeit, das Überstürzte, diese touristische Attitüde?

Volker Koepps Annäherung an Frankfurt am Main ist das präzise Gegenteil: „Ein Versuch, sich ein Bild zu machen“ (Koepp) von einer fremden Stadt. Jochimsen will das fertige Bild, den repräsentativen Gesprächspartner, Koepp den Prozeß einer Annäherung beschreiben. Bei ihm kommen keine Werksdirektoren und Politiker zu Wort. Heinrich Gertenbach, 85 Jahre alt, hat sein Leben lang bei Hoechst gearbeitet und erklärt, warum er, obwohl Sozialist, Aktien besaß. „Mit der Dividende habe ich mir wiedergeholt, was sie mir als Arbeiter vorenthalten haben.“ Der italienischen Leiterin des Literaturhauses erscheint Frankfurt als eine Ansammlung von Messen und Festen, besucht von Leuten, die außerhalb wohnen. „Frankfurt“, sagt sie, „gibt es nicht.“ In einer Szene sehen wir die jüdische Fotografin Ellen Auerbach, 92 Jahre, aus Deutschland nach New York geflohen, zusammen mit der Fotografin Barbara Klemm. Ein Gespräch über Fotos, eine kleine, charmante Szene voller Geistesgegenwart, die nicht anders als wunderbar zu nennen ist.

Jochimsen will auf sattelfeste Informationen hinaus, Koepp sammelt Augenblicke, Details, biographische Bruchstücke. Ästhetisch sind diese Features so verschieden wie ein Nachrichtentext und ein Feuilleton. Vielleicht spiegelt sich in dieser Differenz auch ein west-östlicher Unterschied. Hier das Zupackende, Schnelle, Erfolgsorientierte, dort Kontemplation und Langsamkeit. So erscheint Frankfurt Ost in diesem deutsch-deutschen Doppelporträt als hektische Metropole, voller Umbruch und Vitalität, Frankfurt West als ein bestaunenswerter und eher besinnlicher Ort. Das ist wirklich ein origineller Effekt. Stefan Reinecke