■ Ob Benzinpreis oder Tempo 100 – die Grünen sind verunsichert
: Klare Antworten, schwierige Lage

Es gibt Krisen, bei denen auch die Grünen eine schnelle Eingreiftruppe für notwendig erachten. Die Truppe wurde jüngst gebildet, ihr Einsatzgebiet ist jedoch nicht out of area, es ist die eigene Partei. Ihre Mitglieder rekrutieren sich aus der Partei- und der Fraktionsführung. Sie intervenieren immer, wenn ein Abgeordneter oder ein anderes prominentes Mitglied der Partei, meist an einem Wochenende, unbedacht oder auch durchdacht Programmatisches von sich gibt, das Anlaß zu Fehldeutungen bietet. Zuletzt muße Joschka Fischer am Wochenende zu den „Tagesthemen“ ausrücken, um qua öffentlicher Interpretation die Offensive der verkehrspolitischen Sprecherin Gila Altmann in schadlose Bahnen zu lenken, bevor die berüchtigte grüne Streitkultur zu Tempo 100 auflaufen konnte.

Das Krisenmanagement ist in diesem Fall halbwegs gelungen, doch deutet es auf eine tiefsitzende Malaise der Grünen hin. Sie monopolisieren die Interpretationshoheit in den Händen der Führungsspitze, weil sie sich der eigenen Positionen nicht mehr sicher sind. Das Wahlprogramm, nach monatelanger Debatte verabschiedet, schafft keine ausreichende Grundlage des gemeinsamen Vorgehens mehr. Und es sind nicht die Unklarheiten darin, die verunsichern. Vielmehr erscheint es um so fragwürdiger, je präziser es formuliert ist.

Ob fünf Mark für den Liter Benzin oder das Tempo 100 auf Autobahnen, ob die Ablehnung friedenserzwingender Maßnahmen oder der sofortige Ausstieg aus der Atomwirtschaft – die Klarheit der jeweiligen Aussage ist die Folie, auf der die Grünen in Widerstreit mit gesellschaftlichen Interessen, mit der gesamten politischen Klasse, dem Koalitionspartner und letztendlich mit sich selbst gebracht werden. Ist dieser Kreis erst einmal geschlossen, lassen sich getrost noch einige Runden darauf drehen – entweder bis der Anlaß revidiert oder in einem Maße relativiert wird, daß das öffentliche Interesse erlahmt. Dann bleibt das Schlußbild der Umfallerpartei.

Die Grünen sind verunsichert, weil die eigenen Positionen keine Relevanz mehr haben und die relevanten Positionen nicht als die eignen angesehen werden. Noch nicht, ließe sich vorschnell optimistisch sagen, doch sie sich anzueignen ist mit Gefahren für die Substanz der Partei verbunden. Die Grünen sind als Ökopartei in den Wahlkampf gegangen, in einer Situation, in der sich die gesellschaftliche Anforderung an die Politik auf die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen konzentrierte und die politische Auseinandersetzung um die Mängel der bisherigen einseitig angebotsorientierten Maßnahmen kreiste.

Die erste große Wahlkampfkontroverse der Grünen, die Benzinpreisdebatte, diente dazu, ein Verhältnis zwischen Ökologie und Ökonomie herzustellen, das nicht konkurrent ist. Das Primat wurde gewechselt, im Resultat stehen die Grünen nun allerdings in direkter Konkurrenz zur Sozialdemokratie, deren originäres Thema der Gleichklang zwischen Wirtschaft und Arbeit ist. Eine grüne Position, die an der eigenen Tradition anknüpft und sich erkennbar von diesem sozialdemokratischen Projekt absetzt, müßte Arbeit und Wachstum entkoppeln, weniger aus Gründen der ökologischen Wachstumskritik, sondern zur Sicherung der gesellschaftlichen Teilhabe aller.

Das Ob und Wie garantierter Beschäftigungsverhältnisse wird eine der zentralen Auseinandersetzungen der kommenden Jahre sein. Dazu könnten die Grünen einen Beitrag leisten und damit die eigene Position in der Parteienlandschaft neu konturieren. Es wäre ein Feld, auf dem sie mehr gewinnen könnten als mit Kontroversen um sattsam bekannte ordnungspolitische Instrumentarien, deren Wirksamkeit – Flugbenzin hin, Tempo 100 her – sie noch nicht einmal an sich selber erproben möchten. Die Anliegen mögen berechtigt sein, sie finden jedoch in der Gesellschaft zu wenig Resonanz, um daraus ein politisches Projekt zu schmieden. Statt über die richtige Formulierung alter Antworten sollten die Grünen lieber über Angemessenheit neuer Fragestellungen debattieren. Das ist schwierig und vor allem im Wahlkampf sperrig. Spannender ist es allemal. Dieter Rulff