■ Die SPD setzt auf ein Bündnis für Arbeit. Früher war das ein Fixpunkt linker Hoffnung. Heute ist es nur noch eine Leerformel
: Luftblasen und Hohlworte

Liebe Wähler, traut euch endlich etwas und gebt den Sozialdemokraten die absolute Mehrheit, so daß sie alleine regieren können und müssen. Und dann schickt Schröder an die Arbeit und gönnt ihm 100 Tage Kamera-Entzug. Ihr dürft erwarten, daß er danach mit sehr ernstem Gesicht wieder hervortritt und euch sagt, wie weit die Kraft seiner Regierung reicht und was er euch in den nächsten vier Jahren zumuten wird. Das wird sehr viel sein, ihr fürchtet es ja schon. Also dürft ihr verlangen, daß er euch nicht schont.

Wenn Schröder, den 60 Prozent der Wähler für den besseren Kandidaten halten, die Last einer solchen Wahlentscheidung auf sich zu spüren hätte, würde er vielleicht doch noch ein deutscher Sozialdemokrat sein können. Es würden ihm die Clintonschen Posen und die Blairschen Koketterien vergehen, und die Stollmanns würden schnell in der Versenkung verschwinden. Verschwinden lassen könnte er auch die vielen halben Versprechungen und halben Lügen – wie die, daß die Renten unangetastet bleiben, und die, daß mehr Wachstum auch mehr Verteilungsgerechtigkeit möglich mache. Verzichten könnte die SPD, wenn sie erst ganz regierte, auch auf das dümmliche Reklamevokabular, die Hohlworte vom Innovationsruck und der kommenden Wissensgesellschaft.

Wenn die SPD sich sofort unter den harten Zwang stellt, die Lage des Landes offenzulegen, wird niemand mehr von ihr große Versprechungen verlangen. Aus dem Verkehr ziehen könnte Schröder, auch wenn es vielen seiner Leute weh täte, die ausgelaugte Formel vom Bündnis für Arbeit. Am Anfang ein Programmbegriff voll politischen Inhalts, ist nämlich dieser zentrale Fixpunkt der linken Hoffnungen mittlerweile so verschlissen, daß man kein Projekt mehr darauf bauen kann. Was einst damit gewollt war, war politisch plausibel. Aber man hätte spätestens vor fünf oder sechs Jahren damit beginnen müssen. Nun sind die Verhältnisse nicht mehr so.

Als Klaus Zwickel vor zweieinhalb Jahren die Formel in Umlauf brachte, konnte man ziemlich klar erkennen, was er damit meinte, auch wenn er nicht alles aussprach: eine konzertierte Aktion von Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften, die dreieinhalb Zwecken dienen sollte:

Erstens ging es darum, Arbeitsplätze zu erhalten und Erwerbsstrukturen oder doch deren gemeinsam ausgehandelte Verminderung, wobei der Staat allmählich größere Anteile der wuchernden Lohnnebenkosten übernehmen sollte. Zweitens sollte so eine im Dreieck abgestimmte Einkommenspolitik für die Mehrheit der Arbeitnehmerschaft der Mittelschicht anvisiert werden. Dabei dämmerte den Gewerkschaften schon, daß es sich um eine politisch abgefederte Senkung der Realeinkommen, die nicht zu verhindern ist, handeln mußte. Dittens sollten die korporatistischen Gleichgewichte erhalten werden, die um das Zentralstück der Tarifautonomie gebaut sind, also um eine Rettung des Rheinischen Kapitalismus.

Der halbe Zweck schließlich war, in einem solchen Gefüge die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu fördern, was nicht ohne Verzichte der Arbeitsbesitzer zustande zu bringen ist. Für den, der lesen konnte, war dies auch ein Programm zur langsamen Erziehung der Arbeitnehmer, die aus der Wachstumswelt der verblichenen wohlfahrtsstaatlichen Epoche nicht herausfinden wollen. Alles in allem ein sehr sozialdemokratisches Programm – das ja auch in einzelnen Stücken von mehreren europäischen Linksregierungen praktiziert wird.

Das Weitere ist bekannt. Kohl eignete sich nach einigem Zögern die Formel an, mit dem Hintergedanken, damit besser den „Umbau“ des Sozialstaates voranzubringen. Womit er vor allem einen Rückbau von Rechten und Ansprüchen der Arbeitnehmer meinte. Nur sollte es eben nicht die Anstrengungen der Institutionenreform kosten. Der BDI und sein verlängerter Arm, die FDP, rochen sofort den Braten und lehnten ab. Die Sozialdemokratie konnte nicht ablehnen, konnte aber aus der Idee keine politische Münze schlagen. Sie wußte selber nicht, was sie wollen sollte, nur eines wollte sie nicht: mit dem verwitterten Korporatismus identifiziert werden.

Als politische Strategie, die das Auseinanderbrechen der Arbeits- und Erwerbsgesellschaft aufhalten, gar neue Integration herstellen könnte, reicht das Bündnis für Arbeit nicht mehr aus. Kann es doch schon von den Gewerkschaften selber, würde denn damit Ernst gemacht, nicht mehr überzeugend mitgetragen werden. Immer weiter gehen die Interessen ihrer Mitglieder auseinander. Die einen arbeiten bereits postfordistisch in Unternehmen der globalisierten Wirtschaft, die gerade in Deutschland zu ständig erhöhter Arbeitsproduktivität antreiben und den Qualifikationsadel an sich ziehen.

Die anderen, oft diejenigen mit schwacher Qualifikation, bleiben in den Bereichen mit geringem Produktivitätswachstum zurück, etwa in den öffentlichen Dienstleistungen. Die neuen Spaltungen der Arbeitsgesellschaft ziehen sich quer durch alle Gewerkschaften, und es stehen nicht einfach die Gewinner bei der IG Metall und die Verlierer bei der ÖTV. Ihr Fusionsdrang zu Großkonglomeraten bringt schließlich die Gewerkschaften selber dazu, die Barrieren gegen eine organisierte Solidarität zu erhöhen.

Damit verfliegt auch die Hoffnung, durch ein Bündnis für Arbeit lasse sich die Tarifautonomie als zentrale Sozialsäule noch einmal befestigen. Gewiß muß auch die Sozialdemokratie alles nur Mögliche tun, um sie intakt zu halten – zumal sie ja keine kräftige Alternative hat. Aber zugleich muß sie der angstkonservativen Mehrheit der Arbeitnehmer klarmachen, daß die Pakte der sozialen Marktwirtschaft immer weniger tragen. Und daß nunmehr auf politische Weise umverteilt werden muß.

Das aber kann nur heißen, von der Mittemehrheit der Wachstumsprivilegierten nach unten, und zwar in jeder Hinsicht: Einkommen, Berufschancen, Arbeit. Wenn die SPD noch einmal auf sozialdemokratische Weise Politik machen wollte, wie es zur Zeit die Franzosen und die Italiener versuchen, würde sie daher den Gewerkschaften nicht näher, sondern ferner rücken. Deren Idee vom Bündnis für Arbeit mag einmal richtig gewesen sein. Doch der Lauf der Dinge hat sie ausgehebelt. Jetzt wird von allen noch viel Mut verlangt. Die allzu ängstliche Schröder-SPD durch ein Wählerforum zum Mut zu zwingen, könnte immerhin eine Chance sein. Claus Koch