Brennende Barrikaden in Nordirland

Anläßlich des behinderten Oranier-Marsches randalieren in Nordirland junge Protestanten. Ein Kompromiß ist nicht in Sicht. Dafür aber die nächste Parade  ■ Aus Portadown Ralf Sotschek

Als der Protestantenpfarrer Ian Paisley kurz nach Mitternacht an der Himmelfahrtskirche von Drumcree auftauchte, gab es riesigen Applaus. „Das ist eine Schlacht, die wir gewinnen müssen“, sagte er den tausend Oraniern, die sich auf einen langen Machtkampf am Rand der nordirischen Kleinstadt Portadown eingerichtet hatten. Eine von der britischen Regierung eingesetzte Kommission hatte ihnen untersagt, ihre Parade zum Gedenken an die Schlacht an der Somme über die katholische Garvaghy Road zu leiten. Denis Watson, Großmeister der lokalen Oranier-Loge, hat angekündigt, notfalls auch ein Jahr in Drumcree auszuharren.

In der Nacht zu gestern kam es in allen Teilen der Krisenprovinz zu Krawallen protestantischer Jugendlicher. In Süd-Belfast wurde die Polizei mit Steinen und Flaschen attackiert, im Zentrum und Norden der Stadt wurden Autos angezündet und verschiedene Straßen verbarrikadiert. Die Polizei feuerte Plastikgeschosse auf ihre Angreifer. Auch in Nordirlands zweitgrößter Stadt Derry und in kleinen Orten wie Carrickfergus brannten die Barrikaden. Material dafür liegt in den protestantischen Vierteln zuhauf bereit, denn Sonntag ist der Jahrestag der Schlacht am Boyne, bei der die protestantische Thronfolge vor rund 300 Jahren gesichert wurde, und dieser Tag wird mit Freudenfeuern und Paraden begangen. Seit Wochen haben die Jugendlichen Brennbares gesammelt und zu Scheiterhaufen aufgestapelt, die nun vorzeitig angezündet werden.

Die britische Nordirland-Ministerin Marjorie Mowlam hoffte gestern dennoch auf ein friedliches Ende der Konfrontation. Man verhandelt seit Montag voriger Woche, als die Kommission die Parade untersagte, pausenlos mit beiden Seiten, doch ein Kompromiß hat sich nicht abgezeichnet. Wie sollte er auch aussehen? Die Oranier haben sich für einen Konfrontationskurs entschieden, denn in den vergangenen drei Jahren hat das zum Erfolg geführt.

Als es in Drumcree dunkel wurde, schalteten die Soldaten Scheinwerfer an, die mit Dieselgeneratoren betrieben werden. Die Ordensleute betrieben bis in die Nacht ihr Ritual: In Intervallen schickten sie eine ihrer Kapellen auf die Straße, die bis zur Sperre marschierte. Vor der Stahlwand spielten sie protestantische Lieder und kehrten wieder um. Auf den Feldern nebenan, die mit drei Reihen Stacheldraht und einem Graben von der Garvaghy Road getrennt sind, haben die Oranier ihre Zelte aufgeschlagen. Zwei Männern gelang es, den Graben und die erste Stacheldrahtreihe zu überwinden, bevor sie festgenommen wurden. Die paramilitärische Ulster Volunteer Force, hat gewarnt, daß sie es als „kriegerischen Akt“ ansehen würden, sollte ein Oranier durch die Sicherheitskräfte zu Schaden kommen.

Ein Zeltlager gibt es auch auf der anderen Seite, auf der Garvaghy Road. Die Anwohner halten Wache, denn sie trauen der britischen Regierung nicht. Der Sprecher des Bürgerkomitees, Brendan Mac Cionnaith, wies darauf hin, daß Kräne bereitstünden, mit denen die Stahlbarrieren innerhalb weniger Minuten beiseite geräumt werden können. So beobachten sich beide Seiten mit Feldstechern.

Gestern abend wollte die zuständige Regierungskommission ihre Entscheidung über 28 weitere Paraden verkünden. Sonntag, am Jahrestag der Schlacht am Boyne, finden Paraden im ganzen Land statt, drei davon sind umstritten, weil sie wie in Portadown durch katholische Viertel führen sollen.

Alastair Graham, der Vorsitzende der Kommission, deutete an, daß die meisten Paraden genehmigt werden. Es gibt Gerüchte, wonach der Oranier-Orden alle Paraden freiwillig umleitet – nach Drumcree. Die Vorstellung, am kommenden Wochenende 100.000 Ordensbrüder an der Himmelfahrtskirche in Schach halten zu müssen, dürfte bei den Sicherheitskräften Alpträume auslösen. Auch Jeffrey Donaldson war vorgestern vor Ort. Sein Parteichef David Trimble, der mit Rücktritt gedroht hat, falls die Parade nicht doch noch genehmigt wird, ist der meistgehaßte Mann an der Himmelfahrtskirche. „Wäre er hier, würde er gelyncht“, sagte ein Oranier. Donaldson ist dagegen willkommen, denn er ist Trimbles Widersacher und hat gegen das britisch-irische Abkommen gestimmt. Auf die Frage, was der Orden plane, sagte Donaldson zur taz: „Wartet ab, und ihr werdet sehen.“ Kommentar Seite 1