Schreddern & Fleddern

Horror-König wider Willen: Das 3001 zeigt eine Retrospektive mit Werken des Splatter-Filmers Jörg Buttgereit  ■ Von Oliver Rohlf

Nekrophile, Gewaltverbrecher, Serienmörder – im Werk von Jörg Buttgereit treiben sich so ziemlich alle Charaktere herum, die gemeinhin den Staatsanwalt auf den Plan rufen. Der Vorwurf ist der immer gleiche, wenn es um Horror geht: Herstellung und Verbreitung jugendgefährdender Schriften mit sexuellem und/oder gewalttätigem Inhalt – kurz §131 StGB. Wohl der einzige Paragraph des Strafgesetzbuches, der dem Gros der Horror-Fans so geläufig ist wie sämtliche Teile der Slasher-Reihe Freitag der 13. Die Konsequenz: Gelegentliches Verbot, zumindest aber Indizierung einiger Werke.

Jörg Buttgereit hat ganze Arbeit geleistet, indem er in seinen Streifzügen durch die menschlichen Abgründe kaum eines der Fettnäpfchen im Jugendschutz ausließ. Die Retrospektive, die das 3001 ab morgen über seine Leinwand wüten läßt, umfaßt die vier großen Spielfilme des Star-Regisseurs und Medienmenschen und macht deutlich, wo er die Grenzen des Genres beherzigt und wo er sie sprengt.

Es gab eine Zeit, da war es hip, mit und über Buttgereit zu reden. Vor rund zehn Jahren boomte die Szene rund um den Phantastischen Film: Das „Fantasy Filmfest“ tourte bundesweit erfolgreich durch mehrere Großstädte, Hamburg und Berlin entwickelten sich zu den produktiven Zentren des Untergrunds. Hier wie dort gründeten sich Fanshops, wurden Fachzeitschriften wie das legendäre Splatting Image veröffentlicht und wilde Kinonächte mit verbotenen Filmen veranstaltet. Stets mitten drin: Jörg Buttgereit. Er veröffentlicht in dieser Blütezeit mit Nekromantik seinen ersten Spielfilm, und der hat es in sich. Nicht nur, daß sich der Streifen einzig und allein um ein Paar dreht, das sich seinen nekrophilen Neigungen hingibt. Buttgereit dreht die Schraube des Darstellbaren drastisch an, er zeigt den Geschlechtsakt zwischen Frau und Wasserleiche so weit wie möglich – ohne pornographisch zu werden. Bereits in seinen frühen und billigen Kurzfilmen hatte Buttgereit auf die Geschmacksnerven eingedroschen: In Exzesse im Führerbunker, einem abenteuerlichen Heizungskeller-Schocker von 1982, schlug der blonde Regisseur als gezüchteter „Übermensch“ Adolf Hitler tot. Drei Jahre später suhlte sich Buttgereit in Hot Love, quasi als Vorstufe zu Nekromantik, im Strudel aus Low Budget und Leichenfledderei. Anfang der 90er hatte die Szene einen Star aus den eigenen Reihen, einen Märtyrer, dessen Filme verboten wurden und der zudem eloquent genug war, daß es sich lohnte, sich mit ihm ernsthaft zu unterhalten.

Jörg Buttgereit selbst fühlte sich in der Rolle als Ober-Ekel von Anfang an nicht wohl. Natürlich wußte er die Feuilleton-Hommagen und TV-Interviews zu schätzen, aber er wußte auch, wo die Unterschiede zwischen ihm und einem Sam Raimi oder Stuart Gordon lagen.

Sein zweiter Film, Der Todesking von 1989, ist auch der Versuch, sich vom Image des ewigen Splatterkings zu befreien. Buttgereit erzählt von sieben Selbstmördern, die sich scheinbar beiläufig für den Freitod entscheiden. Statt wie in seinen Filmen zuvor den Schwerpunkt auf den Akt an sich zu legen, konzentriert sich der Fim auf Momente von Leere und Banalität. Mit dem zweiten Teil von Nekromantik, 1991 entstanden, geht Buttgereit sogar noch weiter. Die Erzählweise ist extrem gestreckt, was die Verstümmelungen noch unerträglicher macht.

Der Regisseur erkennt zu dieser Zeit, daß der Fantastische Film eine Krise durchmacht. Die Angstmodelle des herkömmlichen Horrors haben an Kraft verloren, und spätestens mit dem Schweigen der Lämmer hat eine Verlagerung in den „True-Crime“-Bereich stattgefunden. Der Berliner Veteran schrieb damals einen Aufsatz über den Serienmörder Ed Gein und konzipiert mit Schramm ein filmisches Pendant. Ähnlich wie in der Serienmörder-Studie Henry – Portrait Of A Serial Killer von John McNoughton stellt Buttgereit seinen Mörder Schramm in eine enge Wechselbeziehung aus Schuld und Sehnsucht, Schrecken und Sympathie. Die Teufel im Film werden ausgetrieben, Monster verbrannt. Der Mörder Schramm hingegen fällt von der Leiter und stirbt.

Nekromantik: Do, 9. + Fr, 10. Juli. Nekromantik 2: Sa, 11. + So, 12. Juli. Der Todesking: Mo, 13. + Di, 14. Juli. Schramm: Mi, 15. Juli.; jeweils um 22.30 Uhr