„T-Shirts selber machen“

■ Arbeitslose sollen Dinge des täglichen Lebens selbst herzustellen. Dies empfiehlt der US-amerikanische Arbeitsforscher Frithjof Bergmann und schwärmt von Zentren für Neue Arbeit

taz: Warum braucht der Mensch eine Kettensäge?

Frithjof Bergmann: Weil sie Arbeit spart.

Hatten Sie eine, als Sie sich einige Zeit selbst versorgten?

Ich besaß zuwenig Geld und wollte mir auch keine leisten. Als ich die zwei Jahre in New Hampshire auf dem Land lebte, hatte ich einen sehr großen Garten. Das war eher ein Feld, aber ich habe alles mit der Hand gemacht, mit sehr primitiven Werkzeugen. Zum Beispiel mit einer kleinen Bogensäge, mit der ich das Holz für den Ofen schnitt. Das war unglaublich viel Arbeit. Daraus folgte für mich, daß ich dieser Sklaverei entkommen wollte. Eine meiner Grundideen ist jetzt immer noch, sich selbst zu versorgen, aber möglichst effektiv.

Und das ist Ihnen mit Hilfe einer einfachen Säge in Ihrem Garten gelungen?

Leider nein. Eigentlich wollte ich in Ruhe schreiben, aber dazu kam ich gar nicht. Nach zwei Jahren hatte ich die Nase voll. Ich bin aber überzeugt, wenn ich eine Kettensäge gehabt hätte, hätte ich es länger ausgehalten.

Und jetzt empfehlen Sie, Kettensägen zu kaufen, um sich auf effektive Weise selbst zu versorgen?

Die Technologie, die sich entwickelt hat, soll man auf eine neue Art für neue Zwecke ausnutzen.

Sie sagen, Arbeitslosigkeit sei gar nicht so schlimm, wenn man den teuren Staubsauger oder gar das Auto billig selbst herstellen kann. Wie soll das funktionieren?

Zugegeben, die Idee klingt lächerlich. Sie ist aber nicht lächerlich. Ungefähr 70 Prozent aller Besitzer von kleinen Flugzeugen, von Pipers und so, bauen sie aus Bausätzen selber zusammen. Das ist eine Tatsache. Und es gibt unwahrscheinlich viele andere Dinge, die man heute schon mit Bausätzen selbst machen kann. Das Prinzip „Eigenarbeit statt Lohnarbeit“ macht einen unabhängiger.

Warum sollten denn Firmen wie Siemens billige Baukästen statt teurer Staubsauger verkaufen?

Nicht Siemens, sondern neue Firmen müßten das machen. Die würden den Markt aufrollen. Beim Auto versuchen wir das gerade. Einzelne Teile des Autos in vielen kleinen Fabriken herzustellen, zeigt sich als konkurrenzfähige Produktionsweise.

Sie entwickeln ein Auto als Bausatz für den Heimwerker?

Und zwar zusammen mit hochkarätigen Leuten – wie dem ehemaligen Cheftechniker von Ford, einem der bekanntesten Männer der US-Autoindustrie. Die Computer stehen im Institut in Ann Arbor. Wir wollen den Wagen im Januar 2000 bei der Detroit-Auto- Show und im Juni darauf bei der Expo in Hannover vorstellen.

Blockiert sich Deutschland, wenn es darum geht, das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen?

Bei Ihnen spielt sich ein Drama ab. In Deutschland hängt mehr an der Erwerbsarbeit und damit auch an ihrem Mangel als irgendwo anders. Hier gibt es sehr viele Menschen, die ganz und gar in der Überzeugung leben: Wenn ich nicht arbeite, verdiene ich auch nicht zu essen. Zweiter Irrglaube: Es gibt keine Arbeit, gegen die man sich wehren darf. Wenn ich im Gefängnis einen Topf mit Essen bekomme, das schimmelig und ranzig ist, weiß ich: Das ist menschenunwürdiges Essen. Aber komischerweise scheint es in Deutschland keine menschenunwürdige Arbeit zu geben. Alle Arbeit ist ehrenhaft, wenn sie nur gut getan wird. Wenn es solche Arbeit gibt, dann tut sie um Gottes willen nicht!

Seit 20 Jahren arbeiten Sie an dieser Graswurzelrevolution. Ist bisher mehr als eine Spielwiese entstanden?

Man müßte schon entsetzlich unbescheiden sein, wenn man der ganzen Welt den Kopf verdrehen wollte. Die Überraschung für mich ist jedoch, daß es schon so weit gekommen ist, daß sich da der Vorstand einer deutschen Bank mir gegenüber setzt – so wie ich aussehe – und sich das anhört.

Überlegt dieser Bankdirektor, ein Zentrum für Neue Arbeit zu finanzieren, um dort die überflüssigen Bankbeschäftigten unterzubringen?

Die Auseinandersetzung darum ist sehr intensiv.

Was wird das ausrangierte Personal in diesem Zentrum tun?

Trainer, Berater, Leute mit viel Lebenserfahrung könnten die Banker darin unterstützen, ihren eigenen Weg zu suchen. Ihren Weg, den sie wirklich gehen wollen und den niemand ihnen vorschreibt. Das erste Zentrum dieser Art haben wir 1983 in Flint, Michigan, eröffnet. Damals machte sich ein ehemaliger Autoarbeiter nach einiger Zeit mit einem Yogastudio selbständig, andere starteten Zulieferbetriebe für die Autoindustrie, arbeiteten mit Kindern, wurden Sozialarbeiter oder gaben alle Arten von Unterricht. Einer hat einen Bestseller-Roman geschrieben.

Ein Existenzgründerprogramm im Zeichen des Hedonismus. Wie viele dieser Betriebe überlebten am Markt?

Es waren Hunderte. Aber genau wissen wir das nicht. Das ist aber nur die eine Seite. Wir werden mit den Angestellten dieser deutschen Bank zusammen überlegen, wie sie einen Teil der Produkte und Dienstleistungen, die sie für ihr Leben brauchen, vielleicht selbst herstellen können.

Aber Ihr Selbstbauauto ist noch nicht einmal im Computer fertig. Realistisch betrachtet gibt es doch heute kaum Möglichkeiten, die Vielzahl von Produkten des alltäglichen Bedarfs selbst zu fertigen.

Das alles steht natürlich sehr am Anfang. Man kann aber schon sehr leicht CDs selbst herstellen, Stoffe färben oder computergesteuert nähen. Gerade das letztere ist überhaupt nicht dumm: Junge Leute geben sehr viel Geld für modische Technobekleidung aus, die eigentlich ganz leicht selbst zu machen ist. Mit der richtigen Ausrüstung brauchen Sie für ein T-Shirt, das 70 Mark kostet, eine halbe Stunde Arbeit – vorausgesetzt, es gibt Werkstätten, die der Bevölkerung frei zugänglich sind.

Die Bank müßte für solche Programme einige Millionen lockermachen. Sehen Sie da Chancen?

Ich habe mit sehr vielen Leuten in der Bank gesprochen, die so etwas für notwendig halten. Vor kurzer Zeit habe ich auch eine Unterhaltung mit einem Menschen hoch oben bei Ford gehabt. Der sagte, das Entlassen in Deutschland sei wahnsinnig teuer geworden, weil die Leute so sehr jung sind. Dazu müssen die Konzerne eine Alternative entwickeln. Das ist der Knackpunkt: eine Alternative zum Entlassen. Ohne diese Tatsache wäre die Neue Arbeit nur eine Idee in einer Schublade. Interview: Hannes Koch