Bundesanstalt für Arbeit dämpft Euphorie

Trotz Rückgangs der Arbeitslosenzahlen sieht die Nürnberger Behörde „keine Trendwende im Osten“. Vielmehr steigt die Zahl der Langzeitarbeitslosen, und die magische Vier-Millionen-Grenze ist noch nicht in Sicht  ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) – Zumindest die nackten Zahlen hat Regierungssprecher Otto Hauser korrekt wiedergegeben: Ende Juli waren 4.075.054 Menschen ohne Arbeit, das entspricht einer Arbeitslosenquote von 10,5 Prozent. Damit lagen die Erwerbslosenzahlen nunmehr im zweiten Monat hintereinander unter dem Vorjahresniveau.

Für die Bundesregierung Grund genug, von einer „Wende auf dem Arbeitsmarkt“ zu sprechen. Der Chef der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA), Bernhard Jagoda, findet das ebenso voreilig wie Hausers Bemerkung von der „Trendwende in den neuen Ländern“. CDU-Mann Jagoda widersprach vehement seinem Parteivorsitzenden, Bundeskanzler Helmut Kohl, der das Unterschreiten der Vier-Millionen-Grenze noch für dieses Jahr vorausgesagt hatte. Es gebe „nichts am Horizont“, was für eine derartige Prognose spreche, betonte Jagoda. Für den für einen Juni „außerordentlich starken“ Rückgang der Zahl der Arbeitslosen – im Mai waren noch 122.300 Menschen mehr ohne Job – macht die BA neben der üblichen jahreszeitlichen Belebung auch die konjunkturelle Aufwärtsbewegung, den demographisch bedingten Rückgang des Kräfteangebots und „insbesondere die kräftige Ausweitung der Arbeitsmarktpolitik“ verantwortlich.

Arbeitsbeschaffungs-, berufliche Weiterbildungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen haben sich binnen Monatsfrist explosionsartig um 59.800 Stellen vermehrt. Jagoda verhehlte nicht, daß allein ein Drittel der Abnahme der Arbeitslosigkeit im Juni dem „expansiven Einsatz der Arbeitsmarktpolitik zugerechnet“ werden müsse. Arbeitsmarktpolitik sei jedoch „kein Statistikverschönerungsinstrument“, wehrte sich der BA- Chef gegen den Vorwurf, die jetzige Ausweitung der Maßnahmen hätte nach den rigiden Kürzungen zum Jahreswechsel etwas mit den bevorstehenden Bundestagswahlen zu tun. Dank der ABM-Vermehrung lag die Zahl der Arbeitslosen auch in den neuen Ländern unter dem Vorjahresniveau. Das hatte es seit September 1995 nicht mehr gegeben. Ende Juni waren im Osten 1.301.561 Arbeitslose registriert, das entspricht einer Quote von 17,2 Prozent. „Die Trendwende am Arbeitsmarkt ist nun auch in den neuen Ländern deutlich“, jubelte Regierungssprecher Hauser. „Ich halte mich an die Zahlen“, reagierte BA-Chef Jagoda kühl. Er könne erst von einer Trendwende sprechen, wenn die Zahlen drei Monate hintereinander unter dem Vorjahresniveau lägen.

Obwohl nach einer Umfrage des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle drei Viertel der befragten Betriebe im Osten „optimistische Geschäftserwartungen“ äußerten, dämpft Jagoda jegliche Euphorie. Die industrielle Basis in den neuen Ländern werde zwar „allmählich etwas breiter“, lediglich ein „schmaler Streifen des industriellen Sektors“ habe jedoch den „Anschluß an den Westen gefunden“.

Daß es mit dem Arbeitsmarkt nun bis zu den Wahlen im Herbst stetig aufwärts geht, dem widerspricht die Entwicklung vergangener Jahre. Insbesondere Ferien und Quartalskündigungen ließen bislang die Arbeitslosenzahlen im Juli und August immer ansteigen. Im letzten Jahr betrug der Zuwachs gegenüber dem Juni-Niveau 138.000. Verläuft die Entwicklung in diesem Sommer ähnlich, rückt die Vier-Millionen-Grenze in weite Ferne. Regierungssprecher Hauser irritiert das wenig. „Ich rechne bis zum Herbst mit einem Unterschreiten dieser Grenze“, betonte er in Bonn.

Ganz im Schatten des Wahlkampfgetöses blieben zwei Trends unkommentiert: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen nahm binnen Jahresfrist um vier Prozent zu. 1.062.400 Menschen sind nun schon länger als ein Jahr ohne Arbeit. Auch auf dem Ausbildungsmarkt gibt es keine Entwarnung. 275.500 noch nicht vermittelten Jugendlichen stehen nur 112.000 noch unbesetzte Ausbildungsplätze gegenüber.