Details im Wahnsystem

■ Der neue Roman von Hermann Peter Piwitt: „Ein unversöhnlich sanftes Ende“

eutschsprachige Literatur ist wieder ein Thema. Ein junger Autor wie Ingo Schulze schafft mit einem Buch über die ostdeutsche Provinz den Sprung in die Bestsellerlisten – noch vor wenigen Jahren wäre das undenkbar gewesen. Zugleich hat sich die Empfänglichkeit auch für das erhöht, was schon lange da war. Der Hamburger Autor Hermann Peter Piwitt legt mit Ein unversöhnlich sanftes Ende bereits seinen fünften Roman vor, und auf einmal merken die großen Zeitungen auf.

Piwitt tut seit Jahren, was jetzt wieder gefragt ist: Er erzählt. Dabei ist seine Literatur nicht eingängig wie die der meisten amerikanischen Autoren, mit deren Übersetzungen in Europa Höchstgewinne erzielt werden. Piwitt macht es seinen Lesern nicht leicht, aber er belohnt sie reichlich für ihre Mühe. Piwitt lesen, das ist eine Schule des Beobachtens. In seinem erfolgreichsten Roman Der Granatapfel (1986) beschwor er das üppige Italien der ersten Jahrhunderthälfte. Jetzt beschreibt er ein verrottetes „Territorium“, das unschwer als die Bundesrepublik der Gegenwart zu erkennen ist.

Ein Gebiet mit zynischen Künstlern, paranoiden Müttern und jungen Leuten, die trotz allem nicht daran denken, ihre Hoffnung aufzugeben. Ein Land mit Freibädern und Frittenbuden, adretten Drogistinnen und altgewordenen Freunden des Wellensittichs. Ein Reisender tritt auf, den es immer wieder in Gebiete „südlich des Territoriums“ zieht. Dort ist es allerdings auch nicht besser, nur anders. Also vielleicht doch zu Hause bleiben und in die Badeanstalt gehen.

Piwitts Größe steckt im Detail. Allein Kleinigkeiten und die Natur wirken im „geschlossenen Wahnsystem“, das wir „Welt“ nennen, nach wie vor tröstlich. Mit minutiöser Präzision notiert er all das, was zu sehen wir uns abgewöhnt haben: „Es gibt Städte, in denen man erst bei Regen richtig aufwacht. Die Plätze, die Märkte, die Parks fangen an zu duften. Die Rinnsteine quellen über. Man rennt, man flüchtet unter die nächste Markise und lacht. Andere, heißt es, sollen melancholisch machen. In der Hafen-Metropole dagegen verbreitet sich bei Regen das leblos dezente Grau der Foyers ihrer Banken und Geschäftsstellen einfach über die ganze Stadt und vereinnahmt noch die Parks gewissermaßen als Bürobegrünung.“

Der Roman Ein unversöhnlich sanftes Ende benötigt keine durchgehende Handlung. Das dichte Geflecht aus Miniaturen wird durch Leitmotive und eine Sprache zusammengehalten, die das meiste mühelos hinter sich läßt, was in den letzten Jahren geschrieben wurde. Der Sieg, den Piwitt mit seiner Prosa davonträgt, ist leise, doch klingt das anhaltende Geraune vom Ende der Literatur in seinem Echo senil.

Jan Bürger

Hermann Peter Piwitt: „Ein unversöhnlich sanftes Ende“, Rowohlt Verlag, Reinbek 1998, 184 Seiten, 34 Mark