Einmischung

■ Der Hamburger Schriftsteller und Publizist Hermann Peter Piwitt. Ein Gespräch über Dichtung und Ignoranz

Das Vergehen von Hören und Sehen. Aspekte der Kulturvernichtung hieß das Rowohlt-Literaturmagazin, das Hermann Peter Piwitt 1976 gemeinsam mit Peter Rühmkorf herausgab. Der 1935 in Hamburg geborene Piwitt hatte in München, Frankfurt und Berlin Soziologie, Philosophie und Literaturwissenschaft studiert – unter anderem bei Theodor W. Adorno. Inzwischen lebt er längst wieder in Hamburg und arbeitet noch immer engagiert als Schriftsteller und Publizist. In diesem Jahr erschien sein fünfter Roman Ein unversöhnlich sanftes Ende (siehe Kritik rechts). Mit der taz sprach Piwitt über Essays und Dichtung, Dichter und Ignoranz.

taz hamburg:In Ihrem neuen Roman Ein unversöhnlich sanftes Ende spielt das tagespolitische Geschehen eine eher untergeordnete Rolle. In welchem Verhältnis stehen für Sie politisches Engagement und Kunst?

Hermann Peter Piwitt: Die essayistische Arbeit dient mir dazu, die politischen und ökonomischen Hintergründe meiner Erfahrungen zu klären. Nur so kann ich meinen Augen und Ohren trauen – andernfalls wäre die Welt nur eine Flickermaschine. Kürzlich sagte mir jemand, es gebe Millionen Wahrheiten. Mit Millionen Phänomenen mag er recht haben, aber es gibt immer gewisse Erfahrungsrahmen, „Rahmenwahrheiten“. Im Mittelalter der Glaube, daß die Sonne um die Erde kreist und Fürsten „von Gottes Gnaden“ seien. Heute der Wahn, daß der Markt alles regelt und die große Mehrheit zu mehr Wohlstand gelange, wenn wenige Leute sich nur noch mehr bereichern.

Die Arbeit an einem Roman ist grundsätzlich anders?

Als Essayist mache ich Erfahrungen in Gedanken. Als Dichter in Geschichten, Szenen, Charakteren, Stimmungen. Als Essayist möchte man am Schluß Recht haben. Als Dichter sich davon überraschen lassen, womöglich Unrecht gehabt zu haben. Das hat die Linke nie akzeptiert: daß die Literatur ein eigener Weg zur Wahrheit ist. So stand sie immer unter Bourgeoisie-Verdacht. Ich kann, wenn ich mich politisch einmische – und ich habe das 40 Jahre lang getan –, durchaus sozialistisch argumentieren. Aber als Dichter argumentiere ich nicht; nicht einmal Brecht tat das.

Am Schluß Ihres neuen Buches porträtieren Sie Hamburg nicht gerade schmeichelhaft. Als Künstler habe man hier die Wahl, „zu verlöschen oder sich umzubringen“. Was bedeutet es für Sie, in Hamburg zu leben?

Ich wohne in Hamburg. Ich lebe eigentlich nicht hier. Wenn ich mich mal intelligent unterhalten will, fahre ich nach Frankfurt, Wien, vielleicht noch nach Berlin. Es gibt auch hier intelligente Leute, aber sie leben im Abseits wie ich, denn diese Stadt hat kein Zentrum; sie besteht aus einem halben Dutzend Dörfern. Da gelten z.B. Journalisten als Intellektuelle; also der generell in Dienst genommene Geist. Ortsansässige Dichter kommen seit Lessing nicht vor. Ja, man stört sich nicht einmal an ihnen.

Schon die Passionsfrucht (1993) wurde in vielen Besprechungen als Piwitts „Endspiel“ bezeichnet. Ein unversöhnlich sanftes Ende beschwört den Schlußpunkt nun auch im Titel. Wie geht es weiter?

Ich weiß noch nicht. Eine solche Arbeit ist immer auch ein gesundheitliches Risiko. Und in meinem Alter lohnt sich das Sterben am Schreibtisch nicht mehr. In Becketts Warten auf Godot sagt einmal einer zum andern: „Komm, jetzt gehen wir auf den Eiffelturm und springen runter.“ Und der andere antwortet: „Ach, so alt, wie wir aussehen, lassen sie uns doch nicht mal mehr rauf.“

Vielleicht schreibe ich eine Novelle. Das würde mir Spaß machen.

Interview: Jan Bürger