Freundschaft mit Königin Viktoria

Wie man mit einer der interessanteren königlichen Liebesgeschichten und herausragenden Schauspielern den Royals auf den Leim gehen darf: John Maddens überzeugende Windsor-Soap „Ihre Majestät: Mrs. Brown“  ■ Von Anja Seeliger

Die Atmosphäre am Hof ist bedrückend. Wenn Königin Viktoria nicht spricht, dann dürfen auch die anderen nicht sprechen. Wenn sie fertig ist mit Essen, wird umgehend auch allen anderen der Teller weggezogen. Wenn sie an einem kalten Herbstmorgen schwimmen geht, müssen auch die Prinzessinnen schwimmen. Viktoria, die seit Jahren den Tod ihres Mannes betrauert, scheint fest entschlossen, die ganze Welt leiden zu machen: „Kalt ist gut für euch“, erklärt sie kühl ihren Hofdamen und steigt, Hut auf dem Kopf, ins Wasser.

Es ist schwer, sich vorzustellen, daß jemand anderes als Judy Dench diese Rolle hätte spielen können. Sie hat die Figur, klein und rund, bewegt sich jedoch mit Grazie. Selbst wenn sie wütend ihren Stickrahmen hinknallt und aus dem Zimmer rauscht, liegt Grazie in ihren Bewegungen. In so tiefer Trauer und immer noch kokett: Dench bringt den Zuschauer mühelos auf den Gedanken, daß Viktoria ihren Albert vor allem nachts im Bett vermißt. Ian Buruma, der „Mrs. Brown“ zusammen mit einer neuen Biographie über Albert von Stanley Weintraub in der New York Review of Books rezensiert hat, zitiert Passagen aus Viktorias Tagebuch, die so gar nicht zum Klischee der prüden Königin passen. Albert, schreibt sie, habe ihr „himmlische Liebe und Glück“ gegeben, besonders wenn er sie „in die Arme nahm und wir uns wieder und wieder küßten“.

Kein Wunder, daß sie ihn vermißte. Doch Viktorias jahrelange Abkapselung von der Außenwelt drohte die britische Monarchie zu gefährden. Um die grämliche Königin wieder für die Lebenden zu interessieren, beschließt der Hof, den schottischen Diener John Brown nach Windsor zu holen. Brown hatte Viktoria und Albert in Schottland gedient. Vielleicht würden die Erinnerungen an glückliche Tage die Königin aus ihrer Trauer herausreißen.

Brown, gespielt von dem schottischen Komödianten Billy Connolly, macht sich bei Hof sofort unmöglich. Als er der Queen vorgeführt wird, platzt er heraus: „Guter Gott, Madam, ich hätte nie gedacht, Sie in so einem Zustand zu sehen.“ Selbstverständlich wird er der schockierten Viktoria bald unentbehrlich. Er bringt sie dazu, wieder auszureiten, und schlägt ihr schließlich vor, nach Balmoral zu gehen. Er kümmert sich um sie, und seine Vorschläge stimmen erfreulicherweise immer mit ihren eigenen Wünschen überein. Doch Brown ist kein Schmeichler. Er ist der Königin zutiefst ergeben.

Connolly spielt den rauhbeinigen Brown wunderbar. Auch wenn man sein Schottisch nicht versteht, sollte man den Film unbedingt im Original sehen. Er hat breite Schultern und einen eindrucksvollen Bart. Daß Viktoria Gefallen an ihm findet, ist einleuchtend. Wenig glaubwürdig ist allerdings die schablonenhafte Charakterisierung der Nebenfiguren: hier die steiflippigen, humorlosen Engländer, dort die herzensguten, trinkfesten und tanzlustigen Schotten. Buruma erzählt in seinem Aufsatz, daß Albert sich in Balmoral wie zu Hause gefühlt habe. Für das Königspaar war Balmoral eine „gemütliche“ Zuflucht vor den Intriganten und Kritikern in London. In Balmoral konnte man mit einer Decke über den Knien vor dem Kamin sitzen und unbefangen mit den schottischen Dienstboten plaudern. Es war Viktorias und Alberts Version von Marie Antoinettes Bauernhäuschen in Versailles. Regisseur John Madden hat diese Phantasie ernstgenommen. So geht man auch heute noch Royals auf den Leim.

„Ihre Majestät: Mrs. Brown“. Regie: John Madden. Mit Judy Dench, Billy Connolly, Geoffrey Palmer, Antony Sher u.a. Großbritannien 1997, 104 Min.