Jakartas Angst vor dem Domino-Effekt

■ Indonesiens Militär geht in der rohstoffreichen östlichen Provinz Irian Jaya mit harter Hand gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen vor

Bangkok (taz) – Die Warnung des indonesischen Armeechefs war unmißverständlich: „Wo immer eine andere als die indonesische Flagge gehißt wird, handelt es sich um Verrat“, sagte General Wiranto nach den Schüssen auf Demonstranten in der östlichen Provinz Irian Jaya. Das Militär werde dies „nicht tolerieren“. Am Dienstag hatten Soldaten auf der Insel Biak vor der Nordküste der Provinz auf eine Menge von mehreren hundert Menschen geschossen, die unter der Fahne der Organisation für ein freies Papua (OPM) die Unabhängigkeit von Indonesien forderten. Ob und wie viele Menschen dabei starben, ist umstritten: Lokale Bürgerrechtler sprechen von bis zu sieben Toten, das Militär dementiert dies. Offiziell gab es 24 Verletzte.

Mit großer Sorge betrachtet das Militär die wachsenden separatistischen Forderungen in Indonesien. Die Generäle fürchten einen Domino-Effekt, nachem der neue Präsident Bacharrudin Jusuf Habibie kürzlich den Bewohnern des annektierten Ost-Timors Autonomie versprach. Denn nun erhoffen sich wie in Irian Jaya auch andere Bewohner des sich 5.000 Kilometer von Ost nach West ziehenden Inselstaats neue Freiheiten.

Seit vergangener Woche protestierten Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung in der abgelegenen und schwer zugänglichen Region, wo viele Orte nur per Flugzeug oder mit langen Fußmärschen zu erreichen sind. In der Provinzhauptstadt Jayapura feuerte das Militär mit scharfer Munition auf Studenten. Tags zuvor starb ein Passant, als die Polizei eine Kundgebung gewaltsam auflöste.

Seit 30 Jahren wehrt sich die Befreiungsorganisation OPM gegen die Einverleibung „West-Papuas“ durch die Indonesier. Die rohstoffreiche Provinz, die an Papua Neuguinea grenzt, blieb auch nach der Unabhängigkeit des übrigen Indonesien zunächst holländische Kolonie – bis indonesische Soldaten es 1963 besetzten. Nach einer umstrittenen „Volksabstimmung“, an der sich etwa 1.000 Stammesälteste beteiligten, wurde das Gebiet 1969 Indonesien zugeschlagen. Anders als bei Ost-Timor gab es keine internationalen Proteste.

Mit der melanesischen Bevölkerung, die versprengt in kleinen Gemeinden in den Bergen und Tälern lebt, sich häufig unteinander nicht verständigen kann und Kontakt zur Außenwelt oft nur durch christliche Missionare hatte, hoffte die Regierung in Jakarta schnell fertig zu werden: Nach ihre Vorstellungen sollten die Hunderttausenden Zuwanderer, die aus dem bevölkerungsreichen Java und Bali in den letzten Jahrzehnten auf Irian Jaya angesiedelt wurden, hier nicht nur Land und Arbeit finden, sondern den Einheimischen auch ihre Zivilisation bringen.

Es lockten Bodenschätze und Holzvorkommen. Wichtigstes Unternehmen Irian Jayas und zugleich Indonesiens größter Steuerzahler mit rund einer Millarde US- Dollar pro Jahr ist die US-Firma Freeport McMoRan. Sie beutet die zweitgrößte Kupfermine der Welt aus – und vergiftet dabei Flüsse und verwüstet große Gebiete. In ihrem Gebiet lagern noch riesige Vorkommen, deren Wert auf 40 Milliarden Dollar geschätzt wird. Kein Wunder, daß Indonesiens Regierung und Militär alles daransetzen, Unabhängigkeitsbestrebungen zu verhindern – nicht selten mit Mord und Folter, wie die indonesische Menschenrechtskommission klagt. Jutta Lietsch