■ Soundcheck: John Zorn / No Life Lost
Gehört: John Zorn. Anfangs mochte man ihn kaum erkennen: John Zorn, die Arschgeige, die schon mal Fotografen tritt und seine Band mit martialischer Geste zur Räson ruft. Beinahe bescheiden fügte er sich am Sonntag im halb gefüllten Medienzentrum in sein Quartett ein, applaudierte seinem am Anfang farblosen Trompeter Dave Douglas, der im Lauf des Auftritts immer mehr Zutrauen fand, plauderte mit dem wunderbar spartanischen Drummer Joey Baron, der bereits bei Naked City und in der Bill Frisell Band begeisterte. Mit wenigen Schlägen, die entfernt an die krude Rhythmik des Kabuki-Theaters erinnerten, zerstückelte Baron eigenhändig sein Spiel. Gelegentlich scherzte der in Japan und New York lebende Saxophonist, der vor allem über den japanischen Jazzmarkt seine Miete bezahlt, mit dem recht schwerfälligen Bassisten Greg Cohen. Manchmal lächelte der gestrenge Nestor der New Yorker Avant-Jazz-Szene um die Knitting Factory sogar einfach zufrieden.
Auch musikalisch war Zorns aktuelles Projekt Massada für seine Verhältnisse sehr eingängig. Statt der Drei-Sekunden- Klopper von Naked City, wo er wie eine angeschossene Antilope klang, epische Stücke, die sich Zeit zur Entwicklung nahmen. Das erklärt sich möglicherweise mit dem Titel des Projekts. Massada heißt jene Festung in Israel, von der ein antiker Mythos berichtet, daß alle dort Eingeschlossenen bei der Belagerung kollektiv Selbstmord begingen, um der Versklavung zu entgehen. Klezmer, jene jüdische Hochzeitsmusik, die eine strukturelle Nähe zum Jazz aufweist, soll dem Massada-Projekt zugrunde liegen. Zorn und Mannen dekonstruierten die Festmusik, bis davon eine Mischung aus arabischen Tonleitern und Dixieland, manchmal gar nur grelle Schreie übrigblieben. Geschickt leiteten sie aber die Kakophonie wieder in Melodie und Takt um, so daß sich auch ungeübte Ohren auf die Klangexperimente einlassen konnten. Nachdem ihn das Publikum zur vierten Zugabe auf die Bühne zwang, war Zorn wieder der ewige Unsympath. Mit einem hingerotzten Brei verabschiedete er sich von der Bühne und überließ diese Belanglosigkeiten wie Bill Evans.
Volker Marquardt
Heute: No Life Lost. Zunächst wurde es nur als Bedrohung empfunden. Jetzt ist es wahr geworden. Die Hamburger PunkCore-Band No Life Lost tritt mit Soundsystem auf. Nachdem die fünf Musiker der Popularität von Dub-Soundsystem gewahr geworden waren, setzten sie alles auf ein Ticket. Schon in letzten Jahr vervollständigten sie ihr Repertoire aus Punkrock und Hardcore. Neben der Rückkehr zum Ska und dem damit verbundenen Einsatz von Bläsern wurde ihr musikalisches Arrangement um Jazz- und Reggae-Elemente bereichert. Dazu kamen T- und Kapuzen-Shirts, deren Vermarktung mit dem neuen Logo derart erfolgreich war, daß die Band daran dachte, die musikalische Karriere zugunsten eines kommerziellen T-Shirt-Vertriebs aufzugeben. Der im November erscheinende Debüt-CD-Longplayer entscheidet somit über die persönliche Zukunft der Musik. Mit ihrem Auftritt in der Prinzenbar, zu dem sie DJ Starlight Steve als Special Guest gewinnen konnten, stellt sich die gewagte Formation erstmals der Öffentlichkeit. al
Prinzenbar, 21 Uhr
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