„Es geht nur noch um Bauaufträge“

■ In Japan fördert die Wirtschaftskrise das Comeback der regierenden Liberal-Demokratischen Partei. Reformen sind kein Thema mehr

Morioka (taz) – Schweigend wartet eine Gruppe Bauarbeiter im Bahnhof von Morioka auf den Shinkansen nach Tokio. Unter ihnen blickt der 42jährige Kiyoshi Ishii nachdenklich um sich. Nach vier Monaten vergeblicher Arbeitssuche in Morioka, dem Hauptort der nordjapanischen Präfektur Iwate, trennt sich Ishii für ein halbes Jahr von Frau und Kindern, um in Tokio als Eisenleger zu arbeiten. „Ich will schnell zurückkehren. Ich hoffe, nach den Oberhauswahlen vom Sonntag fließt wieder Geld für öffentliche Straßenbauten in Iwate“, bemerkt Ishii. In Morioka wurden Oberhauswahlen noch nie so ernst genommen wie in diesem Jahr.

Wie überall in Japan ziehen die Kandidaten mit Lautsprecherwagen durch die Stadt und versprechen vor Warenhäusern und Pachinkosälen neue Aufträge für das lokale Baugewerbe. Die Baukrise in Iwate ist das Thema des Wahlkampfes. Innerhalb von zwei Jahren haben Tausende kleiner Firmen Konkurs angemeldet und fast 50.000 Arbeitslose hinterlassen. Das schmerzt im Ort, der vor vier Jahren wegen der Skiweltmeisterschaften als künftiges Touristenmekka hochgejubelt worden war. Japans anhaltende Wirtschaftskrise hat auch den Touristenstrom in die Region gestoppt.

Fünf Kandidaten bewerben sich in der Provinz Iwate um einen Sitz im Oberhaus. Doch nur zwei haben eine reelle Chance. Der gegenwärtige Abgeordnete Motoo Shiina (67) stammt aus einer mächtigen Familie mit exzellenten Kontakten in Tokio. Er hat den Sitz von seinem Vater geerbt, der vor 40 Jahren erstmals diesen Wahlkreis vertrat. Shiina weiß, daß im ländlichen Japan nicht so sehr die Partei, sondern die Person zählt. So bewirbt er sich als Unabhängiger und kann auf eine loyale Wählerschicht aus dem lokalen Baugewerbe zählen. Schließlich war er einer der Männer, die in Tokio die Milliarden lockermachten, die Morioka zum Shinkansen und der Infrastruktur für die Skiweltmeisterschaften verhalfen.

Gegen Shiina tritt der von der LDP gestützte Riki Nakamura (36) an. Auch er verspricht seinen Wählern mehr Geld aus Tokio. Dabei kann er sich auf die Subventionspolitik der regierenden LDP stützen. Die hat versprochen, in Iwate 75 Prozent der zusätzlichen Gelder aus einem riesigen Konjunkturpaket – rund 700 Millionen Mark – in öffentliche Bauprojekte zu stecken. „Die Leute in abgelegenen Regionen wissen genau, daß die Regierungspartei den größten Einfluß auf die Vergabe öffentlicher Gelder hat“, sagt LDP-Sekretär Atsushi Kudo triumphierend. Iwate ist eine große, bergige Präfektur. „Hier sind noch viele Tunnel und neue Straßen notwendig“, fügt Kudo hinzu.

So wechselte auch der Bauarbeiter Kiyoshi Ishii kürzlich seine Loyalitäten. Am Sonntag werden er und seine ganze Familie für den LDP-Kandidaten stimmen. Bei den letzten Wahlen unterstützte er noch die Kandidaten der Liberalen Partei von Ichiro Ozawa. „Damals glaubte ich, Ozawa würde in Tokio an die Macht kommen und endlich was ändern“, sagt Ishii. So wie er hatten viele in Iwate auf den „Reformer“ Ozawa gesetzt und sind heute zutiefst enttäuscht. Noch hält die Liberale Partei fünf der sechs Unterhaussitze der Präfektur. Aber immer mehr Wähler in Morioka glauben, daß dies ihnen Nachteile in der Vergabepolitik der Regierung gebracht und so die Baukrise noch verschärft hat.

In Zahlen kann diese Vermutung niemand nachweisen. Aber Koko Sekiguchi von der Morioka Times ist überzeugt, daß die liberale Hochburg Morioka gerade wegen der Wirtschaftskrise ins Wanken geraten ist. „Vor zwei Jahren waren politische Reformen das Hauptthema im Wahlkampf. Darüber spricht heute keiner mehr. Es geht nur noch um Geld, das wieder für Aufträge im Baugewerbe sorgen muß“, sagt Sekiguchi. Denn immer mehr Bauarbeiter aus Iwate kehren ohne Arbeit aus Tokio zurück, weil auch dort die Bauindustrie in der Krise steckt. André Kunz