Idylle in Brooklyn

■ Spike Lee schreibt in Crooklyn Familiengeschichte

Spike Lee kehrt mit uns zurück zu den Backsteinhäusern Brook-lyns mit diesen berühmten vorgelagerten Treppenstufen, auf denen Nachbarschaft und Familie schon in den Uraltfolgen der Sesamstraße vorgeführt worden waren. Hier hatte sich bereits 1989 der Großteil von Lees Do The Right Thing abgespielt, und auch diesmal, in Crook-lyn, sind sie Treffpunkt und Theaterbühne zugleich. Diese Rückkehr ist aber vor allem eine zeitliche, denn Crooklyn spielt in den 70ern.

Es ist Spike Lees siebter Teil seiner Form von Geschichtsschreibung, seiner so weitreichend wie liebevollen Modifizierung jenes amerikanischen Kinos, mit dem er aufgewachsen ist. Dabei stellt Crooklyn vielleicht das deutlichste Beispiel des für ihn typischen Zusammenspiels von Wahrnehmung eigener Vergangenheit dar. Crook-lyn wird so zur Gesellschafts- und Geschichtsreflexion, wie er im Waschzettel selbst sagt, die auf „den Erfahrungsschatz von Afro-amerikanern“ hin geflüchtet ist. So war es der Logik seiner Arbeit nach auch nur eine Frage der Zeit, wann Spike Lee seinen ersten „richtigen“ (denn im weiteren Sinne war Jun-gle Fever das bereits gewesen) Familienfilm in die Kinos bringen würde.

In Crooklyn nun wird die sechsköpfige Familie Carmichael um die resolute Mutter Carolyn und den liebenswert-verschrobenen Vater Woody, einen erfolglosen Musiker, zum Zentrum der Erzählung. Um ihr (Zusammen-)Leben soll es gehen, um zum Beispiel Probleme mit Geld, Essen, Fernsehen, Pubertät, Geschwistern, Strom und Nachbarn. Doch schon mit dem Filmbeginn setzt Lee eine Figur gegen alle anderen ab: das einzige Mädchen, Troy. Sie wird uns quasi durch den Film führen.

Dabei gibt, wie schon in früheren Spike-Lee-Joints, auch diesmal die Musik den Rhythmus des Films vor. Filmmusik ist hier einmal mehr eines der zentralen narrativen Momente – bezeichnenderweise wird sie am Ende des Films selbst ihre Funktion kritisieren. Vor allem im Hinblick auf das Vater-Mutter-Verhältnis, in dem auch Troy eine Funktion erhält, zeigt sich da die Erzählhaltung Spike Lees, die zwischen einem nostalgischen, dominanten Sehnsuchts-Rückblick und zaghaft-entzaubernden Verweisen auf Brüche pendelt.

Crooklyn erscheint so fast wie ein ruhiger, sich immer schon der Ungleichheit bewußter Kampf des Wissens um tradierte Rollenklischees, um den Preis der empfundenen Idylle, mit romantisierenden Kindheitserinnerungen, in denen rückwirkend dann irgendwie doch alles an seinem Platz richtig gewesen war.

Jan Distelmeyer