■ Roger Fouts verbrachte dreißig Jahre seines Lebens damit, Schimpansen die Zeichensprache beizubringen
: Die Schöpfung tanzt Walzer

taz: Soll im Jahre 2050 in der Encyclopedia Britanica unter Fouts, Roger & Deborah stehen: „Im 20. Jahrhundert haben sie durch ihre Versuche mit Schimpansen nachgewiesen, daß Sprache nicht der entscheidende Unterschied zwischen Mensch und Tier ist“, oder sollte da stehen: „Das Ehepaar Fouts hat den Gesprächsfaden mit der Tierwelt aufgenommen“?

Roger Fouts: Den Gesprächsfaden gab es immer. Das weiß man aus den zahllosen engen Beziehungen zwischen Menschen und Tieren. Wir aber möchten zur Überwindung der Illusion menschlicher Einzigartigkeit beigetragen haben. Sprache war eine der letzten Bastionen dieses Irrglaubens – und wir wissen nicht, ob die bis zum Jahre 2050 geschliffen sein wird. Es geht um den noch nicht abgeschlossenen Paradigmenwechsel. Wir sind noch dabei, uns vom Weltbild René Descartes' zu befreien, der Tiere als unbeseelte Automaten sah, um das von Darwin in seiner ganzen Konsequenz anzunehmen. Das ist eine geistige Revolution, die schmerzhaft und so dramatisch ist wie der Übergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild.

Ist die Trennung von Mensch und Tier nicht mehr sinnvoll?

Alles empirische Material deutet auf Kontinuität und graduellen Übergang, nicht auf qualitativen Sprung. In unseren Forschungen begegnen wir dem gleichen Widerstand, mit dem schon Darwin sich auseinandersetzen mußte. Wir versuchen, Menschen zur Akzeptanz einer Wirklichkeit zu bewegen, die vom Kontinuum der Schöpfung und von der Gleichberechtigung der Geschöpfe ausgeht.

Gibt es eine kontinuierliche Höherentwicklung von primitiven Kommunikationssystemen bis hin zur Sprache?

Die Sprache der Affen ist keine Vorstufe zur menschlichen. Schimpansen haben ein an ihre Lebenswelt angepaßtes Kommunikationssystem, das nicht besser und nicht schlechter, sondern anders ist als unseres.

Sie setzen sich in ihrem Buch sehr polemisch mit dem Linguisten Noam Chomsky auseinander, der sagt, daß Sprache genetisch bedingt ist. Weisen Sie für die Gebärdensprache der Schimpansen nicht das gleiche nach? So wie nach Chomsky alle Menschen eigentlich die gleiche Sprache nur mit jeweils anderen Worten sprechen, so benutzen alle Schimpansen Zeichensysteme, nur die Gesten sind anders?

Richtig, nur so konnten wir ihnen unsere Zeichensprache beibringen. Hier haben wir mit Chomsky keinen Streit. Nur behauptet er, Sprache sei eine ausschließlich menschliche Errungenschaft. Wir halten Sprache für den Ausdruck kognitiver Leistungen des Gehirns, die von dessen motorischen Zentrum erbracht wird. Alle Motorik folgt grammatischen Gesetzen – bei allen Gattungen, auch bei den Tänzen der Elefanten.

In nahezu dreißig Jahren hat Washoe von Ihnen an die 240 Zeichen der amerikanischen Taubstummensprache gelernt, was kommt jetzt?

Jetzt, wo wir Washoe in unsere Kultur eingeführt haben, wollen wir die ihre kennenlernen. Wir haben eigentlich ein Freisemester und wollen nach Afrika fahren, um die verschiedenen Zeichensprachen und -dialekte von Affen in freier Wildbahn zu erlernen.

Wird es irgendwann soweit sein, daß Menschen und Tiere über die Zukunft unserer Erde verhandeln können?

Wir Menschen verhandeln nicht einmal mit unseresgleichen über die Aufteilung von natürlichen Ressourcen und nationalem Reichtum. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Menschen lernen könnten, sich in den Reigen der Schöpfung einzureihen. Mein Eindruck ist, die Schöpfung tanzt Walzer, wir Menschen aber tanzen Boogie und treten dabei allen anderen Kreaturen auf die Füße und stoßen sie von der Tanzfläche. Interview: Peter Tautfest

Roger Fouts: Unsere nächsten Verwandten, Limes Verlag, München, 1998, 495 Seiten, 48 Mark