Dialoge unter Geschwistern

Der US-Psychologe Roger Fouts führt Zwiegespräche mit Schimpansen. An seinem Institut für Kommunikation zwischen Mensch und Primaten hat er den Tieren die Taubstummensprache beigebracht. Fouts' Ziel ist es, das Dogma von der Einzigartigkeit des Menschen zu brechen  ■ Von Peter Tautfest

Romulus und Remus wurden von einer Wölfin aufgezogen, Tarzan von Affen. Ihr Leben wurde (Literatur-) Geschichte. Was aber käme heraus, wenn Kinder gänzlich ohne Kommunikation aufwachsen? Der Test wird Pharao Psamtik, König James IV. von Schottland und Kaiser Friedrich von Sizilien zugeschrieben: Sie isolierten Neugeborene, um zu sehen, ob Menschenkinder auch ohne Ansprache sprechen lernen. Tun sie! Sie entwickeln eine elaborierte Zeichensprache.

Die Wiederkehr beider Geschichten in der Überlieferung unterschiedlicher Völker und Kulturen demonstriert die Faszination, die der Grenzbereich zwischen Mensch und Tier ausübt. Markiert Sprache die Scheidelinie? Roger Fouts, Psychologe und Verhaltensforscher an der Central Washington University in Ellensburg, glaubt, die Antwort zu haben. Sein Leben verschrieb er der Umkehrung sowohl des Sprachexperiments wie der „artfremden“ Aufzucht.

Daß Tiere menschliche Sprache verstehen, ist nicht neu. Daß nach dem Aussterben des Neandertalers außer dem Homo sapiens keine Gattung über den Stimmapparat verfügt, der gesprochene Sprache ermöglicht, auch nicht. Könnten andere Gattungen dennoch über ein System von Kommunikationsmitteln gebieten? Fouts' Versuch mit der Schimpansin Washoe sah vor, daß sich deren Pflegeeltern in ihrer Gegenwart nur der Taubstummensprache bedienten. Und siehe da: Washoe lernte die Zeichensprache American Sign Language (ASL).

Roger Fouts' Affen benutzen heute ASL zur Kommunikation mit ihren Wärtern – etwa wenn sie „Banane haben“ signalisieren. Washoe aber erkannte auch die Schwangerschaft einer Praktikantin und fragte nach dem Baby, als die nach längerer Abwesenheit mit flachem Bauch zurückkam. Als Washoe, die selbst zwei Junge verloren hatte, erfuhr, daß die junge Frau eine Fehlgeburt gehabt hatte, signalisierte sie „weinen“ und „Umarmung“.

Washoe löste eine Kontroverse zwischen Linguisten und Verhaltensforschern aus, die bis heute nicht gelöst ist: Was ist Sprache? Hat sie eine evolutionäre Wurzel in den Kommunikationssystemen der Tiere? Ist Sprache die letzte Bastion menschlicher Sonderstellung im Reich der Schöpfung?

Für Roger Fouts sind diese Fragen durch sein enges Verhältnis zu der heute dreißigjährigen Washoe längst beantwortet. Als junger Psychologiestudent und Praktikant kam er in den sechziger Jahren als Kindergärtner Washoes zu den Verhaltensforschern Allen und Beatrix Gardner, die damals eines von vielen Sprachexperimenten mit Primaten leiteten. Als sich deren wissenschaftliches Interesse anderen Gegenständen zuwandte, kümmerte sich Fouts weiterhin um die Schimpansin.

„Es ist unmöglich, ein Wesen wie Washoe großzuziehen, ohne eine emotionale Bindung einzugehen“, sagt er, „mir wurde klar, daß ich zu ihr eine lebenslange Beziehung eingegangen war. Ich habe dabei das erste Gebot wissenschaftlichen Arbeitens verletzt: ,Du sollst nicht lieben den Gegenstand deiner Forschung'“. Das Buch „Unsere nächsten Verwandten“ von Roger Fouts und Stephen Tukel Mills ist die Geschichte einer Beziehung und eine Kampfschrift gegen eine besondere Form des Rassismus, für den Jim Nollman (für seine Konzerte mit Walen berühmt) den Begriff „Spezismus“ gefunden hat – die Abgrenzung der menschlichen Spezies gegen andere Gattungen. Es ist zugleich ein Manifest gegen das cartesianische, das menschzentrierte und für das darwinsche Weltbild.

Neuromotorische Syntax sei der Schlüssel zum Verständnis aller Sprachen, erklärt Fouts. Er verweist auf die Beobachtungen des Verhaltensforschers Adriaan Kortlandts, der 1960 Schimpansen in freier Wildbahn beobachtete und feststellte, daß deren Gebärdensprache grammatischen Regeln folge. Jegliche Sprache sei also gestischen Ursprungs. Schimpansen können Zeichensprache nur lernen, weil ihre Kommunikationsfähigkeit und deren grammatische Organisation genetisch vorgebildet ist. Aus dieser Erkenntnis leitete Roger Fouts ein bemerkenswertes Behandlungsprogramm für autistische Kinder ab.

Er brachte ihnen Zeichensprache bei und stellte fest, daß einige seiner Patienten sogar sprechen lernten. Motorik und Sprache werden von der gleichen Hirnregion kontrolliert. Die Anregung dieses Zentrums löste die für Autisten typischen Blockaden. Auf die Frage, warum Fouts nicht diese Therapie weiterentwickelte, antwortet er: „Autistische Kinder haben Eltern, Washoe nicht.“

Für Linguisten wie Noam Chomsky oder Biolinguisten wie Lyle Jenkins ist das Gerede von sprechenden Affen Popwissenschaft. „Leute wie Roger Fouts sind an ethischen Sentenzen interessierter als an einem Beitrag zum Verständnis von Sprache“, urteilt Jenkins, Autor des für den Sommer angekündigten Buchs „Biolinguistics“. „Die Gegenüberstellung von Descartes und Darwin ist philosophischer und wissenschaftlicher Unfug. Descartes' Leistung ist es in der Tat gewesen, den qualitativen Sprung von den kognitiven Fähigkeiten der Tiere zur Denk- und Sprachfähigkeit des Menschen erkannt zu haben.“

Noam Chomsky vom Massachusetts Institut of Technology steht zu jenem Begriff, über den Roger Fouts sich mokiert: Einzig Menschen hätten ein „Sprachorgan“. „Ich habe diesen Begriff nicht erfunden, er tauchte in den Diskussionen der fünfziger Jahre auf. Man muß sich dieses Sprachorgan als Subsystem eines komplexen Organismus wie das Nerven- oder Immunsystem vorstellen. Was Affen wie Washoe gelernt haben, hat mit Sprache soviel zu tun, wie wenn Menschen mit den Armen schlagen und dabei hochspringen. Aber sie fliegen nicht. Einzig der Mensch gebietet über die Fähigkeit zu sogenannten ,diskreten und rekursiven Unendlichkeiten', zur unbegrenzten Reihung von Bedeutungseinheiten zu sinnvollen Aussagen. Die Gebärden der Affen verhalten sich zur Sprachfähigkeit des Menschen wie die Lichtempfindlichkeit heliotroper Pflanzen zur Sehfähigkeit“, erklärt Chomsky. „Natürlich hat beides eine gemeinsame evolutionäre Basis, aber es führt keine Brücke vom einen zum anderen.“