Auch Paris ist eine Love Parade wert!

Jack Lang kam 1997 skeptisch zur Love Parade nach Berlin. Am Ende zeigte er sich begeistert von Techno und den Menschen, die dieser Musik auf der Love Parade huldigten. Mit Langs Unterstützung findet am 19. September auch in Paris ein Techno-Umzug statt. Mit dem ehemaligen Kulturminister von Frankreich sprachen  ■ Joachim Mühleisen und Oliver Moliner

taz: Warum haben Sie 1997 die Love Parade in Berlin besucht?

Jack Lang: Aus Neugier, niemand hatte mich speziell eingeladen. Im Juli oder September 1996 las ich in einer Libération- Meldung etwas über die Love Parade und sagte mir: Das ist eine großartige Sache, ein verwandeltes Berlin, überall junge Menschen, Technomusik partout.

Als ich mich im Januar vorigen Jahres als Präsident der Berlinale-Jury in Berlin aufhielt, fragte ich verschiedene Personen: Kennen Sie diese Love Parade? Manche sagten ja, andere nein. Ich beschloß: Was auch immer passiert, ich werde hinfahren, und vermerkte den Termin in meinem Kalender. Als ich dann da war, fragte ich mich: Warum sollte eine solche Parade nicht auch in Paris stattfinden?

Dennoch sagten Sie zunächst, sich eine derartige Veranstaltung nicht Frankreichs Hauptstadt vorstellen zu können.

Das war mein erster Eindruck, aber als ich nach Paris zurückgekehrt war, sprach ich mit Freunden und Kollegen, die sich für Techno interessieren, und fragte sie: Läßt sich das auch hier realisieren? Warum nicht, sagten sie, man kann darüber nachdenken.

Hatten Sie ein genaueres Konzept?

Meine anfängliche Idee war es, eine Veranstaltung am selben Tag parallel zur Love Parade zu organisieren, um eine musikalische Brücke zwischen Berlin und Paris zu bilden. Mit Hilfe von Großprojektionen und Übertragungen sollte ein Berlin- Paris/Paris-Berlin-Ereignis geschaffen werden. Leider läßt sich diese Idee nicht verwirklichen. In Frankreich findet ja gleichzeitig die Fußballweltmeisterschaft statt, weshalb es dann unmöglich ist, eine Love Parade im Herzen von Paris zu veranstalten. Die Polizei sähe sich außerstande, die Sicherheit zu gewährleisten.

Man hätte den Termin verschieben können.

Ja, ich fragte die Organisatoren der Berliner Love Parade, die netterweise einige Male nach Paris gekommen sind, ob es möglich wäre, die Parade am 19. Juli stattfinden zu lassen. Das war ihnen aber nicht möglich. Oder sie haben es nicht gewollt. Die Organisatoren in Paris entschlossen sich dann, was auch nicht schlecht ist, für eine „Parade Techno“ am 19. September.

Als Pendant zur Love Parade?

Nein, hier in Paris wird es eine Premiere sein und viel, viel bescheidener. In Frankreich ist Techno musikalisch weniger verankert als in Deutschland. Begleitend zur Parade wird es im Technologiepark in La Villette während einer Aktionswoche rund um die Kunstform Techno Diskussionen, Ausstellungen und Treffen geben.

Wie kommt es, daß das französische Kulturministerium seit kurzem die Technokultur fördert und unterstützt?

Bei uns gibt es eine Tradition elektronischer und elektronisch-akustischer Musik, die in den fünfziger Jahren entstand und über das öffentlich-rechtliche Radio verbreitet wurde. Ein musikalischer Nährboden für Technomusik ist vorhanden. Da gibt es qualitativ großartige DJs, international erfolgreiche Gruppen und Künstler wie Laurent Garnier und Daft Punk. Der Widerspruch dabei ist, daß ein dämonischer Ruf auf der Technomusik lastet, der mit Drogen, Gewalt, Triebenthemmung und einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu tun hat.

Hatte dieser schlechte Ruf Folgen?

Über viele Jahre hinweg wurden Freeparties und Raves regelrecht verdammt, polizeilich verfolgt und verboten. Die Gründe sind zweifellos Ignoranz und Unkenntnis. Deshalb schlug ich die Veranstaltung einer Techno Parade vor. Dabei dachte ich mir, dies wäre eine Möglichkeit, die gesellschaftliche Anerkennung einer künstlerischen Bewegung zu erreichen, die nicht gewalttätig, sondern tolerant und offen ist. Es ist mir gelungen, daß das Innen- und Kulturministerium eine viel positivere Haltung einnehmen.

Warum haben es neue musikalische Bewegungen in Frankreich so schwer?

Dieses Land ist seltsam. Einerseits ist es sehr weltoffen, leidenschaftlich begeistert von modernen Dingen; gleichzeitig gibt es Widerstände in der etablierten Gesellschaft, in Teilen der Verwaltung und der Polizei.

Gilt das nur für Techno?

Nein, das ist nichts Neues. Repression von musikalischen Bewegungen kenne ich in Frankreich schon seit zwanzig Jahren, zum Beispiel gegenüber Rock und Rap.

Ist staatliche Anerkennung und Unterstützung nicht wieder ein Mittel, Kontrolle auszuüben?

Nein, denn jeder Mensch ist frei. Natürlich besteht die Gefahr einer Institutionalisierung oder vielleicht auch einer Instrumentalisierung, dennoch hat die soziale Anerkennung von Techno als Kultur Fortschritte gemacht.

Welche Rolle spielen Sie dabei?

Sie ist positiv wie negativ. Einerseits habe ich dazu beigetragen, einen Teil der Ängste und Vorurteile verschwinden zu lassen. Andererseits sehe ich, wie einige politische Verantwortliche und kommerzielle Vereinigungen sich sagen: Monsieur Lang ist bekannt für seine Intuition, das könnte interessant für uns werden.

Die Love Parade ist als politische Demonstration angemeldet. Welchen Status soll die „Parade Techno“ in Paris haben?

Einen freien und unabhängigen. In Paris wird die Parade von einer Vereinigung organisiert, die Technopol heißt. Es ist weder eine staatliche noch eine kommerzielle Organisation. Technointeressierte aus ganz Frankreich können sich an der Vorbereitung beteiligen.

In der Presse wird ihr Name mit der Techno Parade gleichgesetzt.

Ja, weil Zeitungen gerne vereinfachen. Da es meine Idee war, wurde mein Name mit diesem Ereignis verknüpft. Aber die Parade ist selbständig, und das ist auch gut so. Denn ich habe weder die Zeit noch die Lust, noch die Kompetenz, die Parade zu organisieren.

Gibt es innerhalb der französischen Technokultur politische Forderungen?

Nicht im herkömmlichen Sinn. Einige werden sagen, daß die Techno-Ideologie – das Wort Ideologie ist natürlich zu stark – im Vergleich zur klassischen Politik fade und blaß ist. Persönlich finde ich, daß die Techno-Anhänger eine Philosophie, das heißt eine Vorstellung vom Leben haben, die eine sehr positive ist. In den Technoveranstaltungen und Raves herrscht ein offener Geist, Respekt und Toleranz. Das macht einen ganz und gar glücklichen Eindruck auf mich.

Eine bestimmte Art, die Gegenwart zu betrachten?

Ja, eine Gegenwart, die friedlich sein soll, mit dem Wunsch nach Offenheit. Natürlich ist es kein explizites politisches Engagement. Meine Freunde aus der Technoszene sind Menschen, die eine politische Vision haben.

Einige deutsche Intellektuelle und Journalisten beurteilen die Love Parade und Techno als negativ.

Ich lehne diese in Wirklichkeit sehr akademische Debatte ab. Man kann in einem Leben, jeder kann in seinem Leben, individuell oder kollektiv, abwechselnd vernünftig und leidenschaftlich sein. Natürlich gibt es auch in Frankreich Leute, die sagen: Wie kann ein Intellektueller wie Jack Lang, ein Mann der Kultur, eine solche Kultur der Verrohung und Gleichgültigkeit befürworten? Aber letztendlich sind Polemiken viel besser als Desinteresse.

Sie haben ja Erfahrung mit der Gründung und Durchsetzung von Musikfestivals.

Die Fête de la musique?

Ja. Und die findet seit zwei Jahren auch in Berlin statt, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Wie übertragbar sind denn überhaupt nationale, kulturelle Ereignisse?

Sie sind übertragbar, aber es braucht immer Personen an Ort und Stelle, über die ein solches Ereignis koordiniert wird. Da helfen auch keine Regierungsabkommen. Die Fête de la musique ist in anderen deutschen Städten wie Hamburg erfolgreicher. In Berlin wird die Fête teilweise über das Institut Français koordiniert, was mir noch zu institutionell und zu bescheiden ist. Es müßte jemanden in Berlin geben, zum Beispiel einen Musiker, der die Idee lanciert und dabei hilft, sie zu verbreiten. Die Fête de la musique findet erfolgreich in zahlreichen europäischen Städten statt. Dies zeigt, daß kulturelle Ereignisse übertragbar sind.

Zurück zur Love Parade. In der Bundesrepublik und in Frankreich werfen Kritiker den Organisatoren dieser Veranstaltung vor, die Technokultur ermordet zu haben. Sie bedauern, daß an Stelle der illegalen Raves mehr und mehr kommerzielle Riesenspektakel stattfinden.

Ich kann diese Kritik verstehen. Einerseits mobilisiert die Parade sehr viele Menschen und trägt zur Anerkennung von Technokultur durch die Gesellschaft bei. Andererseits besteht die Gefahr, daß Techno dadurch seinen Geist und seine Seele verliert. Auch die des Verlustes eines bestimmten subversiven Charakters, eines Gefühls der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft.

Der Widerspruch...

...ist doch immer der gleiche: Man möchte nicht von der Gesellschaft ausgeschlossen werden, gleichzeitig aber seine Einzigartigkeit bewahren.