Der letzte Postbote des Führers

Hätte Gary Lauck in Deutschland bloß ein paar Kilo Haschisch unter die Leute gebracht, befände er sich als US-Bürger längst wieder auf freiem Fuß. Doch der Mann, der jahrelang Deutsche mit nazistischem Propagandamaterial versorgte, muß die vier Jahre Gefängnis absitzen, die das Hamburger Landgericht vor knapp zwei Jahren gegen ihn verhängte – wegen fortgesetzter Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß. Die deutschen Behörden wollen Lauck – anders als sonst bei Ausländern üblich – nicht vor Ede der Strafe freilassen, um nicht in den Verdacht zu geraten, Nazis zu milde zu behandeln. Doch ist das auch rechtsstaatlich und im Einklang mit dem Gebot der Meinungsfreiheit? Ein Essay  ■ Von Horst Meier

In Hamburg sitzt ein prominenter Häftling ein, nach dem zur Zeit kein Hahn kräht. Da er sich treudeutscher Ordentlichkeit befleißigt, hätte er eigentlich gute Aussichten gehabt, den üblichen Rabatt, einen Strafnachlaß von einem Drittel, zu bekommen. Aber das Hanseatische Oberlandesgericht lehnte im Februar 1998 seinen Antrag ab, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen – völlig zu Recht.

Denn der Häftling, der sich so tadellos führt, bekäme zwar gern ein paar Monate geschenkt, er möchte sich aber auf gar keinen Fall bewähren, jedenfalls nicht im Sinne der deutschen Rechtsordnung. Als bekennender Neonazi sieht er überhaupt nicht ein, warum er sich politisch mäßigen sollte: Die vier Jahre, zu denen ihn das Hamburger Landgericht am 22. August 1996 wegen Volksverhetzung und verfassungsfeindlicher Propaganda verurteilte, empfindet er als „juristischen Imperialismus“. Gary Rex Lauck, Gründer der NSDAP/AO (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslands- und Aufbauorganisation), sieht sich als politischer Gefangener. Das darf er nun vorerst bleiben – bis zum 19. März kommenden Jahres.

Der Vorwurf der politischen Justiz ist nicht von der Hand zu weisen. Hat doch der Prozeß gegen den Deutschamerikaner jedem, der sehen und hören wollte, geradezu lehrstückartig vorgeführt, daß es ein erstaunliches Rechtsgefälle gibt zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland: Freedom of speech buchstabiert man nach dem First Amendment, dem ersten Zusatz zur amerikanischen Verfassung von 1787, anders als die Meinungsfreiheit nach Artikel 5 des Bonner Grundgesetzes von 1949.

Dieses Gefälle, das politisch spannende Thema des Prozesses, hat in der deutschen Öffentlichkeit kaum jemanden interessiert. Das ist symptomatisch. Natürlich ist einer wie Lauck, der von den USA niemals ausgeliefert worden wäre, ein denkbar schlechter Botschafter für die amerikanische Lesart der Freiheit. Dies macht aber das Desinteresse der deutschen Öffentlichkeit nicht weniger problematisch.

Wenn sich die meisten Berichterstatter zu Prozeßbeginn auf den Gerichtsfluren drängeln und erst wieder zur Urteilsverkündung auftauchen, bekommen sie nicht mit, was eigentlich verhandelt wird. So können sie sich und den anderen, die sie doch über das Nazimonster aufklären wollen, nur bestätigen, was ohnehin schon jeder weiß: Lauck ist der weltweit größte Verteiler von NS-Material, er ist nicht nur ein öffentliches Ärgernis, sondern auch irgendwie eine Gefahr. Der Mann gehört hinter Gitter.

Gerade das ist aber die Frage. Am 20. März 1995 war Lauck bei Kopenhagen festgenommen worden. Dort besuchte er den Vorsitzenden von Danmarks National-Socialistiske Bevaegelse, einer legalen dänischen Nazipartei. Der Festnahme folgte ein monatelanges juristisches Tauziehen, das bis zuletzt spannend blieb: In Dänemark nimmt man das Recht auf Meinungsfreiheit ernster als in Deutschland. So weigerte man sich beispielsweise standhaft, den inzwischen verstorbenen Altnazi Thies Christophersen auszuliefern, weil das Gerede von der „Auschwitzlüge“ in Dänemark nicht strafbar ist.

Doch im Fall Lauck ging alles glatt über die Bühne: Drei dänische Gerichtsinstanzen bestätigten die Entscheidung des Justizministers, Lauck habe „nicht hauptsächlich Angriffe auf ein politisches System“ geführt, sondern Minderheiten publizistisch bedroht, verhöhnt und herabgewürdigt. Haßpropaganda wie diese sei auch nach dänischem Recht strafbar. Die Auslieferung erfolgte am 5. September 1995.

Indes geriet der Prozeß, der am 9. Mai 1996 im Sicherheitstrakt des Hamburger Landgerichts eröffnet wurde, binnen weniger Stunden zu einem trockenen Aktenstudium, das während sechzehn schleppender Verhandlungstage allseits Langeweile und Ernüchterung verbreitete: Der Agitator schwieg, seine „Kameraden“ glänzten durch Abwesenheit, und das kleine Häuflein antifaschistischer Demonstranten hatte sich längst verlaufen – so wie die in- und ausländischen Kamerateams. Wie konnte das passieren?

Seit 1972 mimt Gary Lauck den Organisationsleiter der NSDAP/AO. Deren Auslandszentrale, wahrscheinlich ein kleines Büro im Elternhaus, residiert in Lincoln, US-Staat Nebraska, und zwar legal. Denn die amerikanische Demokratie bekämpft Leute wie Lauck mit einer furchtbaren Waffe: Sie heißt freier politischer Wettbewerb und hat noch jede Politsekte in den Abgrund der Bedeutungslosigkeit gestoßen.

In den USA ist die Meinungsfreiheit ein Grundrecht, dessen Kernbereich, die politische Rede, so gut wie unantastbar ist. Es gilt auch für den Propagandaleiter der NSDAP/AO. Mit dem bemerkenswerten Ergebnis, daß aus Freedom of speech via NS-Versandhandel nach Deutschland Meinungsäußerungsdelikte werden.

Die Staatsanwälte wurden frühzeitig mit dem für deutsche Verhältnisse geradezu extremistisch anmutenden Freiheitsverständnis der USA konfrontiert: Als sie das FBI ersuchten, die Kundenkartei von Lauck zu beschlagnahmen, stießen sie auf taube Ohren.

Nun stand er also vor den Schranken der „Terrorjustiz“ jenes Staates, den er gern als „Bonner Judenrepublik“ schmähte, und fand in Richter Günter Bertram, dem Vorsitzenden der zuständigen Staatsschutzkammer, einen fairen, ungewöhnlich liberalen und aufgeklärten Richter, der seit 1972 Strafprozesse leitet – darunter auch solche gegen NS-Verbrecher.

Die Anklage warf dem Amerikaner vor, er habe Propagandamittel ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen verbreitet, deren Kennzeichen verwendet sowie Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß betrieben (§§86 Abs.1 Nr.4, 86a, 130 und 131 Strafgesetzbuch). Lauck wollte seine einschlägigen Verdienste nicht bestreiten, also hüllte er sich lieber in Schweigen.

Lauck, den die fixe Idee plagt, er sei vor der Weltgeschichte dazu berufen, das Erbe Adolf Hitlers anzutreten, fehlt in keiner antifaschistischen Geisterbahn. Er gilt als gefährlicher Drahtzieher im braunen Netz. Im Laufe des Strafprozesses vor dem Hamburger Landgericht ist freilich ein anderer Gary Lauck sichtbar geworden. Einer, der zwar seine ganze Lebensenergie in einen manischen NS-Postversand vergeudet und eine erschreckende Kälte ausstrahlt, der aber aufs Ganze gesehen eine eher lächerliche Figur abgibt.

So ist der Hanswurst mit dem Hakenkreuztick auf das ihm eigene Format geschrumpft: Mittelmaß und Wahn. Die endlosen Litaneien, die die Richter aus gesammelten Schriften und Briefen abwechselnd verlesen, sind von erdrückender Beweiskraft: ein organisationswütiger Spießer ohne Organisationstalent, ein Agitator ohne rhetorische Begabung, ein Naziideologe ohne intellektuelles Format, ein Möchtegernführer ohne Charisma.

Das bizarre Gebilde, das er 23 Jahre lang rastlos aufbaute, muß in den USA aus mindestens zwei Leuten bestehen. Schließlich sind Notausgaben des NS- Kampfrufs noch erschienen, als er schon in Haft saß. Seit Sommer 1996 konnte allerdings keine Einfuhr nach Deutschland mehr festgestellt werden.

Der heimatlose US-Bürger, der sich selbst als „Auslandsdeutscher“ bezeichnet, steigert sich zuweilen in antisemitische Verbalexzesse. Da gibt es zum Beispiel eine Satire auf die deutsche Vergangenheitsbewältigung, gedruckt im NS-Kampfruf Nr. 112: „Bei Renovierungsarbeiten in einem Bochumer Mietshaus wurde Schreckliches entdeckt: eine der vielen Wohnungen konnte nun zweifelsfrei als ehemaliges konspiratives KZ entlarvt werden. Experten schätzen, daß in der 2-Zimmer-Wohnung bis zu 500.000 Menschen gefangengehalten worden waren. Ein Blick in die Duschkabine läßt Schlimmes ahnen: die Zahl der hier Vergasten dürfte hoch sein, sehr hoch. [...] Man erwägt, aus der 2-Zimmer-Wohnung einen KZ- Wallfahrtsort zu machen, zu dem jeder deutsche Schüler einmal gepilgert sein muß, um einen Schulabschluß zu erhalten.“

Das ist ekelhaft, sollte aber nicht den Blick für den Gegenstand der Anklage verstellen. Es geht um unkörperliche Delikte: Sprache, Zeichen, Symbole. Davon zeugen die Tatwaffen, die der Prozeß zu Tage fördert: Aufkleber mit Parolen wie „Die Juden sind unser Unglück“, „NS- Verbot aufheben“ oder „Ausländer raus!“, diverse NS-Schriften, darunter eine, die Reinhard Heydrich als vorbildlichen Deutschen würdigt, außerdem Devotionalien wie Hakenkreuzarmbinden, HJ- Anstecknadeln oder „Das große Liederbuch der SA“. Was immer das Herz eines Alt- oder Neonazis begehrt, der letzte Postbote des Führers trägt es aus.

Die triste Buchhaltung, die die Staatsschutzkammer tagelang zu absolvieren hatte, weil an die 130 beschlagnahmte Postsendungen nach den Regeln der Prozeßordnung zu sichten waren, wurde gelegentlich unterbrochen. Dann traten richtige Zeugen auf: ein Zollbeamter aus Düsseldorf, der am Flughafen die NS-Luftpost herausfischte; ein freier Journalist aus München, der eine Schauerreportage über Lauck verfaßte, schließlich ein frisch pensionierter Verfassungsschützer aus Köln, der beim besten Willen keine „nationalsozialistischen Zellen“ in Deutschland entdecken konnte.

Wie sollte er auch? Die NSDAP/AO führt einen Papierkrieg aus Übersee, sie ist die Kopfgeburt eines Hakenkreuzfetischisten. Genaugenommen gibt es die NSDAP/AO also gar nicht – und das seit 1972. Dieses grandiose Scheitern phantasiert Lauck als „Propagandaoffensive“ seiner „Untergrundkämpfer im Reichsgebiet“. Wenn das der Führer wüßte.

Am 22. August 1996 wurde das Urteil verkündet: Wegen fortgesetzter Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß und NS-Propaganda erhielt Lauck eine Haftstrafe von vier Jahren. Das ist gewiß nicht zu knapp für ein Meinungsdelikt und löste Beifall aus – von Innenminister Manfred Kanther bis zu den Grünen war man zufrieden. Auch die Leitartikler sahen keinen Anlaß für Justizkritik. „Die Strafe hat er verdient“, kommentierte die Frankfurter Rundschau. In der Süddeutschen Zeitung hieß es anerkennend: „Das Hamburger Landgericht hat das Großmaul mit amerikanischem Paß, ohne viel Umstände zu machen [...] verurteilt.“

Zum Glück hat sich die Staatsschutzkammer ziemlich viel Umstände gemacht, Umstände, die freilich den Horizont der politischen Korrektheit überschreiten. Die Richter haben sich der meist übergangenen Frage gestellt, wie gefährlich Laucks Propaganda denn realistischerweise einzuschätzen ist.

Im Urteil heißt es: „Weit an der Spitze derer, die Lauck für einen besonders gefährlichen Zeitgenossen halten, steht [...] er selbst [...] Diese verbohrte Realitätsblindheit – bürgt sie allein schon für die Harmlosigkeit des Propagandisten? Laucks Machtergreifungsphantasien verdienen in der Tat keine Aufmerksamkeit: Sie sind leere Phantastik. Aber damit ist das Thema nicht erschöpft: Haßpredigt und Hetze, mit ihrem Appell an den Schweinehund, müssen unter ihrer Dürftigkeit keineswegs leiden. Im Gegenteil: Haß pflegt sich der Parolen, keiner Argumente zu bedienen – und Parolen sind es, die Lauck liefert. Darin liegen Gefahr und Gewicht.“ (Hervorhebungen im Urteilstext selbst, d.Red.)

Haßpredigt und Hetze können also ein gesellschaftliches Klima schaffen, das für Minderheiten gefährlich ist. Dumpfe Vorurteile und Ressentiments können sich aus geringfügigem Anlaß entladen. Allerdings ist die Wechselwirkung zwischen Hetze und Gewalttaten empirisch nur schwer nachzuweisen, auch wenn die Staatsanwälte mit der plakativen Formel, der „Mord“ beginne mit dem „bösen Wort“, das Gegenteil nahelegten.

So folgt der Urteilspassage, in der die Gefahr beschworen wird, eine realistische, ungewöhnlich offen formulierte Einsicht: „Über Grenzen, Größen und reale Wirkungen aber weiß [...] keiner Genaues; [...] Ob sich ohnehin kriminelle Gruppen mit dem NS-Kampfruf und seinen Emblemen schmücken, oder ob diese Propaganda einschlägige Kriminalität hervorruft, oder wie – vermutlich höchst komplexe – Interdependenzen verlaufen: Das bleibt ein weites Feld der Spekulation.“

Im Laufe der dreimonatigen Prozeßbeobachtung beschleicht einen ohnehin der Verdacht, der Nutzen solcher Prozesse liege in ihrer außenpolitischen Signalwirkung. Die Staatsanwälte verweisen darauf, daß sich der Jüdische Weltkongreß in einem Schreiben an den Hamburger Bürgermeister zum Ausgang des Prozesses sehr positiv geäußert hat. So läge denn, zugespitzt formuliert, die Bedeutung des Urteils nicht darin, Leute wie Lauck zu bessern, sondern vielmehr darin, vor aller Welt die Besserung derjenigen zu unterstreichen, welche strafen.

„Man kann eine Idee nicht mit Gewalt unterdrücken. Eine Idee kann man nur mit einer besseren Idee schlagen. Es wird denen nie gelingen, uns mit Repressionen unterzukriegen“, prophezeite Lauck im Gespräch mit einem niederländischen Journalisten, der ihn während des Prozesses in der Haft besuchte. Lauck ist „geistig arretiert“, wie es im Urteil heißt, er sitzt im Gefängnis seiner ideologischen Verstiegenheiten, und darin wird er eingesperrt bleiben, lebenslänglich. Der deutsche Strafvollzug wird ihn jedenfalls nicht von seinem rastlosen Tun, von seiner Fixierung auf den Führer erlösen.

Lauck wird also weitermachen, das ist bis zur Binsenweisheit gewiß. Die eigentlich spannenden Fragen haben seine Gegner zu beantworten: Wie hält es die Berliner Republik im Umgang mit Neonazis? Sollen gegen immer neue, subtilere Gehässigkeiten immer neue, subtilere Paragraphen erfunden werden? Oder werden Neonazis eines Tages in Fußgängerzonen „Mein Kampf“ feilbieten – von der Polizei unbehelligt und von Passanten leidlich ignoriert oder in handgreifliche Dispute verwickelt?

Der Fall des Amerikaners Lauck rührt an das Selbstverständnis einer Nation, die nach Hitler im Schatten eines beispiellosen kollektiven Verbrechens leben muß. Lauck aktualisiert mit jedem seiner läppischen Druckwerke, wenn nur das Hakenkreuz darüber prangt, das deutsche Trauma. Daher sind Leute wie er, was die Meinungsfreiheit anbelangt, der Ernstfall schlechthin: der Ernstfall für die praktische Bewährung der Freiheit in Deutschland.

Das Dilemma ist quälend und nicht zu lösen, ohne eine der beiden Lehren aus der Geschichte zu mißachten: entweder die Demokratie oder den Antinazismus.

Gegen Ende des Prozesses traf ich die Journalistin Barbara Demick, Mitarbeiterin des Philadelphia Inquirer. Was denkt man in Amerika über den Prozeß, der hier in Deutschland gegen den US-Bürger Gary Lauck geführt wird? „In den USA ist es so, daß die Leute ihn weder mögen noch ihn um jeden Preis im Gefängnis sehen wollen. Sie halten es nicht für wert, dafür die Freiheit der Rede einzuschränken. Ich denke aber, für die Amerikaner ist es sozusagen die perfekte Lösung, wenn er für seine Taten in Deutschland vor Gericht gestellt wird. Es ist tatsächlich so, daß unter dem First amendment die Freiheit der Rede umfassend geschützt ist. Es hat sogar berühmte Fälle gegeben, wo Bürgerrechtler sich für Neonazis eingesetzt haben – nicht, weil sie sie etwa mögen oder gar unterstützen, sondern weil sie das Recht der freien Rede über alles setzen.“

Wohl der berühmteste jener Fälle ist der „Skokie case“. Er trägt den Namen eines Ortes bei Chicago. Im Frühjahr 1977 verbot die Polizeibehörde von Skokie eine provokatorische Demonstration der National Socialist Party of America. Mitglieder dieser legalen Nazipartei hatten angekündigt, in SA-Uniform und unter der Hakenkreuzfahne durch die 70.000 Einwohner zählende Stadt zu marschieren, in der damals 45.000 Juden lebten – darunter 3.000, die dem Mordprogramm der Nazis entkommen waren.

Der brisante Rechtsstreit ging durch alle Instanzen – übrigens mit Unterstützung der American Civil Liberties Union; das radikale Eintreten für die Freiheit von Neonazis kostete die liberale Bürgerrechtsorganisation fast ein Fünftel ihrer Mitglieder. Am Ende gab das Oberste Gericht der USA, der Supreme Court, den Bürgerrechtlern und den Neonazis Recht: Freedom of speech schütze auch den friedlichen Aufmarsch von Hakenkreuzlern.

Verglichen damit spricht der Beschluß, den deutsche Verfassungsrichter im Fall Lauck fällten, Bände: Sie nahmen seine Verfassungsbeschwerde gegen das Strafurteil erst gar nicht zur Entscheidung an – ohne jede Begründung.

Kann man sich das, vielleicht in dreißig oder fünfzig Jahren, auch hierzulande vorstellen: die vollen Bürgerrechte für Neonazis? Laucks Richter haben nicht nur über die Gefährlichkeit von Propaganda nachgedacht, sie haben sich auch in der demokratischen Frage einige Skrupel geleistet.

In demselben Urteil, mit dem sie Lauck immerhin für vier Jahre aus dem Verkehr gezogen haben, klingt an, es sei eine behutsame Annäherung an den amerikanischen Stand der Freiheit denkbar: Die amerikanische Rechtslage „lenkt das Auge [...] auf Unterschiede, die es zwischen rechtsstaatlich-liberalen Staaten gibt: Unterschiede, die [...] zwar überzeugend begründbar sind, die aber doch zu ständiger Prüfung nötigen, wieweit Verbote dort, wo andernorts Freiheit herrscht, unerläßlich oder noch vernünftig sind.“

Das kann man sich merken, mindestens bis zum 19.März 1999. Wenn sich dann für Lauck die Gefängnistore öffnen und er postwendend in die USA abgeschoben worden ist, wird er seinen Papierkrieg wiederaufnehmen. Aber das ist nebensächlich. Es kommt darauf an, den Horizont der deutschen Freiheit zu erweitern.

Niemand braucht deshalb seinem antinazistischen Abscheu untreu zu werden. Es genügt, dem eine strapazierfähige Idee radikaler Demokratie zur Seite zu stellen. Und ein bißchen Freiheitsliebe.

Horst Meier, 43 Jahre, publiziert regelmäßig in der taz. Vor drei Jahren verfaßte er zusammen mit Claus Leggewie das Buch Republikschutz. Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie (Rowohlt-Verlag, Reinbek 1995, 39,80 Mark). Seinen hier veröffentlichten Aufsatz entnahmen wir der aktuellen Ausgabe (592) des Merkur – Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken(Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1998, 19 Mark).