Stadt der Väter

Schandfleck oder Baudenkmal: Der Städtebau der Nachkriegsmoderne findet bis heute kaum Fürsprecher  ■ Von Thomas Schulze

Was dem Alltagsdesign der 50er Jahre vergönnt ist, bleibt der Architektur des Wiederaufbaus bisher verwehrt: Im Nostalgiehimmel der Nierentische, Tütenlampen und Petticoats ist sie nicht gelandet. Das Ansehen der Bauten und Planungen aus den 50er und 60er Jahren ist auch in Hamburg, gelinde gesagt, bescheiden.

Entsprechend geht man heute mit ihnen um: Bürohäuser in der Innenstadt werden abgerissen, Siedlungen nachverdichtet. Der Städtebau der Nachkriegsmoderne findet kaum Fürsprecher. Dabei hat es in Hamburg durchaus überregional vielbeachtete Projekte gegeben, wie z.B. die Gartenstadt Hohnerkamp oder die Planung Neu-Altonas. Als „vergessenes Zentrum der Nachkriegsmoderne“ skizziert der Architekturhistoriker Ralf Lange die Hansestadt. Nicht die Trivialisierung organhaften Gestaltens, das Nacheifern des Nierentisch-Chics, nicht das Schielen nach Modischem und Experimentellem, sondern eher unspektakuläre Lösungen, spröde und kompromißlos in der Form, machen nach Lange den „Sonderfall Hamburg“ aus.

Der Städtebau der 50er Jahre folgte dem neuen Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“: Geschlossene Blockränder wurden in offene städtebauliche Räume aufgelöst, durchgrünt und in der Dichte der Bebauung und Besiedlung minimiert sowie funktional entflochten. Eine neue Stadt auf dem als Tabula rasa geltenden historisch-topografischen Stadtgrundriß sollte es sein.

Dahinter steckte der Gedanke, in architektonischen Metaphern die Idee einer offenen Gesellschaft und Kultur vor Augen zu führen, im ästhetischen Gestus austauschbarer Solitärbauten die stadträumliche Umsetzung der Demokratie zu versinnbildlichen. Freier, heller und autogerechter hieß die Parole ab 1952 unter Oberbaudirektor Werner Hebebrand. Das Neue ging jedoch zwangsläufig einher mit dem erinnerungstilgenden Löschen der Spuren von Gründerzeit, Krieg und Nationalsozialismus. Zudem funktionierte das Neue nicht losgelöst von alten Strukturen: Es gab personelle Kontinuitäten in der Architektenschaft, und Vorstellungen der Kriegs- und Vorkriegszeit lassen sich auch als für den Wiederaufbau maßgeblich lesen.

Mittlerweile ist die Stadt der 50er und 60er Jahre selbst historisch geworden. Heute bestimmen wieder geschlossene Blockränder das Hamburger Bauen. Überall in der City werden freie Streifen und Lücken zugeflickt. Durch Umbauten und Veränderungen in ihrer Wirkung gestört – wenn nicht gar abgerissen – , verschwinden so einzelne Zeugnisse der Nachkriegsmoderne aus dem Stadtbild.

Ausgewählte Objekte zu bewahren ermöglicht aber nicht nur die Auseinandersetzung kommender Generationen mit der Architektur des Neuanfangs und die Dokumentation unterschiedlicher Vorstellungen von Stadt, sondern spricht auch Einzelbauten ihren Qualitäten entsprechenden Respekt zu. So steht beispielsweise das Gebäude der Hamburg-Süd an der Ost-West-Straße, 1959 von Cäsar Pinnau entworfen, durch seine getönte Glasvorhangfassade mit Aluminiumrahmen für das Verwenden ganz neuer Materialien, für eine städtebaulich moderne Interpretation des umgebenden Raumes und den Internationalen Stil.

Unter DenkmalschützerInnen längst ein Thema, ist die Forderung nach Erhalt von Bauten politisch ausgesprochen schwer durchsetzbar gegenüber den Investoreninteressen Abriß, Neubau und höhere Ausnutzung der Fläche. Im Umgang mit der Stadt der 50er steckt aber auch die Auseinandersetzung der heutigen Generation von Stadtplanern mit der Stadt der Väter. Denn auf Kosten der 50er-Jahre-Bauten verschwand damals die alte Bausubstanz der gründerzeitlichen Stadt mit ihrer jetzt beliebten Funktionsmischung – das, was heute wieder Inbegriff von Urbanität ist. Wenn Lange schreibt, die Bauten der 50er „werben nicht um den Betrachter, sie schmeicheln nicht seinem Sinn“, zeigt dies allerdings, daß es auch um Geschmacksfragen geht.

Das Museum der Arbeit veranstaltet kommende Woche Stadtrundgänge zum Thema: tägl. 17 Uhr, Sa 15 Uhr. Mo: Wiederaufbau der City, Di: Die Ost-West-Straße, Mi: „Neue Heimat“, Do: Neu-Altona, Fr: Mümmelmannsberg, Sa: Hohnerkamp. Infos unter Tel.: 040/2984-2418/9.

Lit./Abb. aus: Ralf Lange, „Hamburg – Wiederaufbau und Neuplanung 1943-63“, Hans Köster Verlagsbuchhandlung, Königstein im Taunus, 1994, 355 Seiten, 39,80 Mark; Michael Wawoczny, „Der Schnitt durch die Stadt“, Dölling & Galitz, Hamburg 1996, 252 Seiten, 56 Mark.