Schwabentanz im Alptraumtunnel

Der Auftritt eines Stuttgarter Ensembles im Tiergartentunnel ist symptomatisch für die Faszination Großbaustelle: 70.000 Besucher flanierten im Sommer 1997 über den Potsdamer Platz. In die Röhre guckte  ■ Esther Kogelboom

Der Tunnel ist wie ein guter Alptraum: lang, breit, gleichförmig und am Ende Licht. Er bildet die Bühne für das Ensemble für zeitgenössische Musik „Der gelbe Klang“. Die Stuttgarter Tanzstiftung Birgit Keil hat zum Tanztheater namens „Das Rauschen der blauen Tür“ in den Tiergartentunnel geladen. Die jungen Tänzerinnen und Tänzer wirbeln zu den Klängen des Esslinger Komponisten Albrecht Imbescheid über die kleine Bühne. Kerngedanke des Stückes soll „Türen öffnen“ sein, „sowohl im realem als auch im handlungsforttreibenden Sinn“. Das Portal zu „Das Rauschen der blauen Tür“ hat allerdings die Hypo-Real München mit ihrem Sponsoring geöffnet. Der Choreograph Sven Sören Beyer hat den Tiergartentunnel als Veranstaltungsort ausgewählt, „weil sich hier unter der Erde in der Tunnelröhre die Dimensionen verschieben. Der Tunnel hat eine ganz besondere Atmosphäre, denn die Länge des Raums vermittelt das Gefühl von Unendlichkeit.“

70.000 Schaulustige flanierten im Sommer 1997 zwischen Baugruben, Kränen und Krach im Bann von Renzo Pianos Architektur über den Potsdamer Platz. Wo in den vergangenen Jahren noch „Baustellen-Kultur“ zu besichtigen war, so Bärbel Petersen von Partner für Berlin, die in diesem Sommer zu dritten Mal die „Schaustelle“ koordiniert, folge in diesem Jahr mancherorts bereits die „Kultur des Gebauten“.

Seit die offizielle Schaustelle ins Leben gerufen wurde, gibt es auch die Schaustelle von unten. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) bietet Führungen durch die Stadt an, die unabhängig von Sponsoren und Investoren über neueste Entwicklungen unterrichten.

„Wir sehen unser Engagement als Ergänzung zum offiziellen Programm, nicht als Gegenstück“, erklärt Marcus Blanke vom Arbeitskreis Verkehr des BUND. Gegen die Mischung aus Unterhaltung und Information, wie sie die Original-Schaustelle bietet, hat er zwar nichts einzuwenden, aber Blanke vermißt die kritischen Töne. „Eigentlich wollte der Senat 80 Prozent öffentlichen Nahverkehr und nur 20 Prozent Individualverkehr ins Zentrum holen. Inzwischen hat sich das Verhältnis zugunsten der Straße auf 60 zu 40 verschoben.“

Der Tiergarten werde an allen Ecken und Enden zurückgedrängt, öffentliche Räume werden mehr und mehr privatisiert, statt „Kanzler-U-Bahn“ solle man besser das Straßenbahnnetz nach historischem Vorbild ausbauen. Der BUND organisiert unter anderem auch Radtouren entlang der Spree und die „Radtour in die Zukunft von Mitte“.

Trotz und gerade wegen der Baustellen bleibt der Touristenstrom nach Berlin ungebrochen. „Die meisten Menschen wird dieses Jahr wieder die Love Parade anziehen“, prognostiziert Bernd Buhmann von der Berlin Tourismus und Marketing, die Berlin international vermarktet. Die Top- Zeit für Städtereisen sei aber nicht der Hochsommer, sondern die Monate Mai und September. „Dieses Jahr haben wir Pauschalangebote mit Themenschwerpunkten entwickelt. Angesagt sind vor allem die Jubiläen Luftbrücke, Brecht und Fontane.“ Auch die Veranstaltungen des Classic Open Air ziehen viele Besucher an.

Je nach Nation bewirbt die Berlin Tourismus und Marketing die Hauptstadt anders. „Während für die USA und England die Geschichte im Vordergrund steht, nutzen Franzosen und Japaner eher das kulturelle Angebot. In Italien werben wir verstärkt mit Lifestyle.“

Buhmann erwartet für die Sommermonate wieder zwei bis drei Millionen Touristen, „wobei es schwierig ist, alle zu erfassen. Viele kommen privat unter.“ Laut den Erhebungen des Statistischen Landesamtes nimmt sich der Durchschnittsgast 2,7 Tage Zeit für Baustelle, Brecht & Co.

Schaustelle: Telefon (030) 28 01 85 01

Schaustelle von unten: Telefon (030) 78 79 00 21