Größte Abschiebeaktion nach Bosnien

■ Nachts kam die Polizei: Noch nie schickte die Innenverwaltung so viele Bosnier zwangsweise zurück wie Donnerstag und Freitag. "Wir sind doch keine Tiere", klagt eine Betroffene. Proteste gegen den "Akt

Seit drei Stunden stehen 15 Bosnier mit ihren Kindern auf der Aussichtsterrasse des Flughafens Schönefeld. Sie warten. Sie wollen einen letzten Blick auf ihre Männer, ihre Brüder und Cousins werfen. Kurz darauf erklärte CDU-Innensentor Jörg Schönbohm gestern, der Senat habe in den vergangenen zwei Tagen insgesamt 76 Bosnier nach Sarajevo „zurückgeführt“. Eine „Nacht- und Nebelaktion“ nennt der Abgeordnete Riza Baran (Bündnis 90/Die Grünen) die bislang größte Abschiebeaktion der Innenverwaltung, „einen Akt unmenschlicher Barbarei“ Karin Hopfmann (PDS).

Zweieinhalb Jahre nach dem Abschluß des Friedensabkommens von Dayton erfolge die „freiwillige Rückkehr“ von Bosniern „nur sehr zögerlich“, so Schönbohm. Die Abschiebungen sollen nach seinen Worten dieses Jahr weiter fortgesetzt werden. Damit würden „deutliche Signale“ gesetzt, daß die „freiwillige Rückkehr“ nun „verstärkt und ernsthaft in Angriff genommen werden solle“. Wer nicht freiwillig ausreise, müsse auch „zukünftig mit seiner Abschiebung rechnen“.

Fotografen und Kameraleute richten ihre Objektive auf das Rollfeld. Ganz hinten, versteckt hinter der letzten Baracke, ist das Flugzeug der Air Bosnia geparkt. Plötzlich aufgeregte Rufe. Ein Bus fährt über das Rollfeld. Sind sie das? „Stopp, Hilfe!“ rufen die Bosnier. Und wissen, wie vergeblich ihre Rufe sind. „Nachts um halb eins kam die Ausländerpolizei und trat gegen unsere Tür“, klagt eine Betroffene. „Mein Mann wurde einfach abgeholt. Aber wir sind doch keine Tiere.“

Der Bus ist inzwischen hinter einem Haus am Rande des Rollfeldes verschwunden. Er war leer. Viele vermuten, daß jetzt die Flüchtlinge in den Bus geladen werden. Außerhalb der Sichtweite von Journalisten – und der Angehörigen. Nach kurzer Zeit taucht der Bus wieder auf. Ein Polizeiauto fährt voraus. Zu erkennen ist nichts. Mindestens dreihundertfünfzig Meter ist der Bus entfernt.

Inzwischen ist auch eine Protestgruppe erschienen: „Was haben sie getan?“ fragt anklagend ein Transparent, „Die Falken protestieren gegen menschenrechtsverachtende Abschiebepraxis“ steht auf einem zweiten.

Dann taucht hinter den Baracken das Flugzeug auf. Weit weg rollt Air Bosnia auf die Startbahn. Die bosnischen Kinder auf der Terrasse winken. Das Flugzeug hebt ab. Frauen und Kinder weinen. Seit 1997 sind nach Angaben der Innenverwaltung 285 Menschen nach Bosnien abgeschoben worden. 9.000 kehrten „freiwillig“ zurück, 20.000 leben noch hier. Jutta Wagemann

Bericht Seite 1, Interview Seite 26