Mon Dieu Mondial
: Es wird etwas lauter

■ Die TV-Gemeinschaft bereitet sich auf zwei bedeutende Ereignisse vor und ist zermürbt

Es hört nicht auf. Was haben wir in unserer Fernsehgemeinschaft, der ich als Gastgeberin der Frankreich-Spiele nunmehr allein vorstehe, schon geschrien, gekreischt und kopfgeschüttelt, und jetzt das: Der Nachwuchs der inzwischen beeindruckend runden Frau Awal hat sich vor einiger Zeit auf den Kopf gestellt; sich also in die Startposition begeben. Wie wir alle wissen, ist das eine unbequeme Situation, und wir rechnen schon bald mit der Niederkunft – um genau zu sein, wir vermuten, daß Sara oder Tarik, geprägt durch die akustischen und physischen Erfahrungen der letzten Wochen, stilgerecht während des Endspiels zur Welt zu kommen gedenkt. Was dann?

Herrn Awal, das steht zu befürchten, stürzte dieses Szenario in einen waschechten emotionalen Konflikt. Mitten in der Übertragung eines Fußballweltmeisterschaftsendspiels, an dem Frankreich beteiligt ist, aufstehen zu müssen, weil man zuviel Mineralwasser (wir: Chablis und Bier) getrunken hat, ist schlimm genug – vor wenigen Tagen, während Herr Awal den Raum verlassen hatte, fiel das erste Tor der kroatischen Schwalbenschurken gegen Frankreich, und das rasche Gegentor kam nur zustande, weil Herr Awal zu diesem Zeitpunkt wieder unter uns weilte. Schlimmer aber ist die Aussicht auf ein Geburtshaus ohne Fernseher. „Geh schon mal vor, ich komme gleich nach“, läßt sich anläßlich einer Geburt sicherlich schwer sagen. Andererseits hat man ja schon oft gehört, wieviel Zeit das Gebären in Anspruch nimmt. 120 Minuten plus Elfmeterschießen (hoffentlich nicht!) sind dagegen: ein Augenblick.

Obwohl immer ein Kessel heißes Wasser auf dem Herd steht und frische Handtücher bereitliegen, sind wir also alle noch ein wenig mehr aufgeregt als sonst. Und langsam geht das an die Substanz. Die Niederlage Deutschlands haben Bester- Gunskes, Ausrichter dieser Partien, zwar erstaunlich gut verkraftet – vielleicht auch, weil sie im Zuge der Entwicklungen auffällig freiwillig Holland- Gastgeber wurden –, dennoch sind wir alle recht zermürbt.

Sahen wir uns zum Beispiel in der Vorrunde ob der Schiedsrichterentscheidungen noch fassunglos an, so fallen unsere Wertungen jetzt deutlicher aus. „Er ist geisteskrank“, befand die Münchener Exilanten-WG anläßlich der roten Karte gegen Numan (Brasilien-Holland); „Blinder, wahrscheinlich bestochener Knallkopp“, hieß es, als der spanische Schiedsrichter Garcia Aranda Monsieur Blanc vom Platz stellte.

Aber wir leiden nicht nur unter den sogenannten Unparteiischen. Da ist noch Frau Buhr.

Frau Buhr schurigelt unter mir ihren Ehemann und, wenn noch Zeit bleibt, ihre Nachbarn. Als Frankreich endlich Paraguay geschlagen hatte, stand sie zum dritten Mal vor der Tür: Was denn los sei bei mir? Ihre LAMPEN würden wackeln! Ich erklärte ihr die Lage; sie hörte zum dritten Mal von der WM.

Kurz nachdem Frankreich verdient die kroatischen Jammerlappen verjagt hatte und die Fernsehgemeinschaft Thuram den angemessenen Tribut gezollt hatte, keifte und wütete sie vor meiner Wohnungstür: „Was machen Sie da? Catchen Sie?“ „Wir sehen immer noch Fußball, es ist Fußballweltmeisterschaft, und Frankreich ist im Endspiel“, sagte ich. „Das interessiert mich nicht. Sie machen Lärm!“ entgegnete Frau Buhr. „Selbstverständlich“, erklärte ich: „Frankreich ist im Endspiel!“ Und schickte sie fort.

Für Sonntag ist ein Schild vorbereitet: „Sehr geehrte Frau Buhr! Heute ist wieder Fußballweltmeisterschaft! Endspiel! Mit Frankreich! Wenn Frankreich gewinnt, wackelt sogar ihr Bett! Währenddessen haben wir eventuell eine Hausgeburt! Es könnte etwas lauter werden.“ Carola Rönneburg

Die Autorin ist Wahrheit-Redakteurin der taz