Ein Wahlkämpfer, der keiner ist

■ SPD-Fraktionsvorsitzender Scharping radelt durch Bayern. Statt lauter Versprechungen kommen von ihm nur leise Töne

München/Bonn – Ein Mann in Jeans, blauem Hemd, Turnschuhen, rotem Helm fährt auf einem Fahrrad einer eher unbekannten Marke in einen kleinen bayerischen Ort. Einige Menschen, die ihn erwartet haben, applaudieren und reichen ihm am Straßenrand eine vorbereitete Brotzeit. Eine Ansprache hält der Mann, obgleich Politiker, nicht. Was daran besonderes ist? Mal beteiligt er sich am Gespräch, mal nicht, aber auch daran ist nichts Besonderes zu finden, denn warum muß einer mit Menschen, die er nicht kennt, unentwegt plaudern?

Anders als noch im vergangenen Jahr, sagt er auch nicht im kleinen Kreis, er wisse ja, wie man den Kanzler schlagen könne. Er läßt seine Kurventheorie unerwähnt, wonach er von allen SPD-Kanzlerkandidaten in der Ära Kohl mit 36,4 Prozent das beste Ergebnis geholt hat und kommt auch nicht mehr auf die Verletzungen in Mannheim zu sprechen, wo er als Parteivorsitzender gestürzt wurde.

Überhaupt ist der Mann mit dem Fahrrad diesmal so angenehm unauffällig. Und das ist das eigentlich Besondere an dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Rudolf Scharping, auf Wahlkampfreisen in diesen Tagen. Ist es nicht symptomatisch für eine innerlich gefestigte, auf der Erfolgsspur befindliche Partei?

Wenn Rudolf Scharping noch Kanzlerkandidat der SPD wäre, hätten wir die Geschichte über seine Sommerreise vielleicht mit der folgenden Beobachtung begonnen: Ein 29jähriger Kandidat für den Bundestag setzt sich neben den Fraktionsvorsitzenden der SPD. Der sagt, nicht etwa kumpelig, sondern eher steif: „Na, der junge Kandidat.“ Der junge Kandidat tut so, als weiche er erschrocken zurück, hebt scheinbar entschuldigend die Hände.

Aber Scharping ist eben nicht mehr Kanzlerkandidat und insofern darf er ruhig ein wenig unnahbar erscheinen. Wer wissen will, was er von der SPD zu erwarten hat, ist deshalb zur Zeit gerade mit Rudolf Scharping gut bedient. Im Jahr 1998 kann er sich eben so geben, wie er ist: Mal gedankenverloren, mal barsch, mal heiter, mal nachdenklich. Zwar auch Wahlkämpfer, aber weniger jedenfalls als noch vor vier Jahren.

Eine Mindeststeuer wird es unter einer SPD-Regierung nicht geben, auch wenn Kanzlerkandidat Gerhard Schröder sie am Donnerstag abend im ZDF noch einmal verteidigt hat. Scharping will nicht zitiert sehen, was er von dieser ursprünglich von Parteichef Oskar Lafontaine aufgebrachten und nun vom Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder wiederholten Steuer hält. Aber soviel bleibt festzuhalten: Der Fraktionschef hält sie nicht für praktikabel.

Auch eine andere Wahlkampfforderung der SPD scheint wenig dringlich zu sein. Soll Kanzlerkandidat Gerhard Schröder so tun, als ob die Reformen der Regierung bei Rente und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall rückgängig gemacht würden – Scharping verliert bei seinen Auftritten in der Provinz kein Wort darüber.

Er konzentriert sich immer wieder auf drei Punkte: Ein besseres Umfeld für Unternehmen, Ordnung und Recht auf dem Arbeitsmarkt und Arbeitsplätze für Jugendliche zu schaffen. Inbesondere auf die von Schröder versprochene Rücknahme der Rentenkürzung geht Scharping nicht ein. Nicht, daß er die Renten, gerade für die Einkommensschwächeren, kürzen möchte, aber schlagwortartig wie Schröder zu verkünden, alles bleibe auch unter einer von der SPD geführten Regierung beim alten, das ist seine Sache nicht.

Gar nicht der gute Onkel von den Sozialdemokraten ist Scharping, wenn es um die Transferleistungen des Staates, wie etwa das Arbeitslosengeld, geht. Sie müßten alle auf den Prüfstand. Und warum nicht Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenfassen, um unbürokratischer und zielgerichteter Arbeitsmarktpolitik zu betreiben?

Als Fraktionschef wird sich Scharping nach der Bundestagswahl an die Umsetzung begeben. Doch wird er überhaupt Fraktionsvorsitzender bleiben? Schließlich wird innerhalb seiner Partei darüber spekuliert, Lafontaine wolle dieses Amt übernehmen, um einen Kanzler Gerhard Schröder besser kontrollieren zu können. Klar wird in diesen Tagen: Scharping möchte am liebsten Fraktionsvorsitzender bleiben. Das muß, im fragilen Gefüge der SPD, nicht viel heißen. Schließlich wollte Scharping auch Parteivorsitzender bleiben.

Aber kann es sich Oskar Lafontaine leisten, Scharping noch einmal wie einst auf dem Parteitag in Mannheim auszubooten? Außerdem, so lautet eine Überlegung im Scharping-Lager, will Lafontaine seiner Partei nicht schaden. Es würde ihr aber schaden, wenn der Eindruck entstünde, Oskar Lafontaine und nicht ein Bundeskanzler Gerhard Schröder hielte alle Fäden in seiner Partei in der Hand. Markus Franz