Abschiebungen ohne Rechtsschutz

■ CDU-Innensenator Jörg Schönbohm hat bei der Abschiebung von 74 BosnierInnen gegen eine Vereinbarung mit dem Verwaltungsgericht verstoßen. Rechtsschutzanträge konnten nicht geprüft werden, sagt der Vorsitzen

Bei der Massenabschiebung von BosnierInnen Ende der vergangenen Woche hat die Verwaltung von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) offenbar gegen Abmachungen mit dem Verwaltungsgericht verstoßen. Der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht, Percy MacLean, wies gegenüber der taz auf die Vereinbarung hin, daß Personen, die beim Gericht einen Antrag auf Rechtsschutz gestellt haben, nicht abgeschoben werden dürfen.

Dennoch ist genau das bei der überfallartigen Aktion in der vergangenen Woche geschehen. Einer der nun Abgeschobenen, ein unter Epilepsie leidender Bosnier, hatte noch am Freitag der vorangegangenen Woche einen Antrag auf Rechtsschutz gestellt. Der Antrag war nach so kurzer Zeit noch nicht entschieden, und die Ausländerbehörde wußte am Donnerstag nach eigener Auskunft nichts davon. So wurde der Mann nach Bosnien geflogen. Die Folge: Voraussichtlich wird sein Antrag nun nicht mehr bearbeitet. Unter rund 80 abgeschobenen Personen, so MacLean, sei über diesen Einzelfall hinaus die Wahrscheinlichkeit groß, daß noch mehr ungerechtfertigte Abschiebungen vollzogen wurden. Von „etlichen“ Betroffenen spricht ein Kollege.

Auch Angehörige, die noch am Freitag um Rechtsschutz für ihre Familienmitglieder nachsuchen wollten, hatten offenbar gar keine Chance auf ein faires Verfahren: „Um 9 Uhr kommen die Leute“, so schildert der Richter, „dann wird der Antrag erst einmal aufgenommen, und um 11 bekommt ein Richter vielleicht den Antrag. Wenn um 11.45 abgeschoben wird, ja was soll man da noch entscheiden?“ Das Gericht, so der Schluß auch von Percy MacLean, muß informiert sein, wenn eine derart große Zahl von Abschiebungen bevorsteht. Nur so wäre eine angemessene Prüfung der einzelnen Anträge zu gewährleisten. Vergangene Woche, so heißt es in der Ausländerbehörde, habe man rechtzeitig Bescheid gegeben. MacLean bestreitet dies jedoch. Er nennt Aktionen wie die vom Donnerstag und Freitag „außerordentlich problematisch“, da „bei solchen Massenaktionen der Einzelfall nicht mehr richtig geprüft werden kann – weder in der Ausländerbehörde noch beim Verwaltungsgericht“.

Mit der Abschiebeaktion – insgesamt 74 bosnische Flüchtlinge wurden bei Nacht und Nebel festgenommen und dann per Air Bosnia abgeschoben – sind etwa genauso viele Menschen zwangsweise nach Bosnien zurückgeschickt worden wie im gesamten Jahr 1997. Am gestrigen Sonntag war die Innenverwaltung für eine Stellungnahme zu den Vorwürfen nicht zu erreichen. Barbara Junge