"Das Herz wird bei Ullrich sein"

■ Gespräch mit Jose Miguel Echavarri, dem Leiter des spanischen Radsport-Teams Banesto, über Jan Ullrich, Miguel Indurain, Spaniens Tour-de-France-Hoffnung Olano und das allgegenwärtige Doping

taz: Ein Sommer ohne Tour. Können Sie sich das noch vorstellen?

José Miguel Echávarri: Es fehlt nicht mehr viel. Ich habe mich ein bißchen distanziert, denn da passieren komische Sachen.

Nämlich?

Es gibt sehr viele Interessen, und das große Opfer ist immer der Radfahrer. Die Organisation natürlich nie, ich bitte Sie, die machen dir eine Etappe 500 km lang mit 18 Pässen. Da sage ich mir, ich muß das akzeptieren, das Spiel ist einfach so. Dann gibt es Leute, die ein Jahr gewinnen und danach wieder verschwinden. Da bleiben immer große Zweifel, ob das sauber war. Deshalb hat Jan Ullrich eine große Verantwortung. Er hat Erwartungen geweckt, die er jetzt Jahr für Jahr bestätigen muß.

Sie haben Miguel Induráin langsam aufgebaut. Wäre Jan Ullrich als Banesto-Fahrer heute schon Toursieger?

Ich versuche, über den Radsport eine Lebensphilosophie zu vermitteln, beispielsweise zu zeigen, daß es nicht gut ist, wenn man die Sachen im Leben zu schnell erreichen will; daß es nicht darum gehen darf, von heute auf morgen reich zu werden, sondern dafür zu arbeiten; daß es nicht gut ist, schnell ein Star zu werden, sondern indem man sich den Respekt der Leute verdient.

Sehr ehrenwert, aber im heutigen Sport zählt der schnelle Erfolg.

Vielleicht ist Ullrich sehr viel eher ein fertiger Fahrer geworden. Ich habe immer die körperlichen Möglichkeiten von Induráin gesehen. Im Alter von Ullrich wäre das so gewesen, als hätte man einen Porsche-Motor in eine Ente eingebaut. Der Motor hätte die Karrosserie zerrissen. Daher mußten wir erst die Karrosserie verstärken. Und ich bin von einer Sache überzeugt: Wenn die Leistungsexplosion früher kommt, dann kommt das Ende auch früher.

Deutschland war bis vor einigen Jahren ein Entwicklungsland im Radsport. Wie kann man den Boom der letzten beiden Jahre erklären?

Das ist das Phänomen Ullrich. Deutschland hatte nie eine große Radtradition. Die Fahrer aus dem Osten, Uwe Ampler, Uwe Raab, Olaf Ludwig, dominierten zwar das Amateurlager, aber in den Bergen sind sie immer hinterhergefahren. Dann entstand als Experiment das Team Telekom. Was passiert, ist in allen Ländern gleich: Man mag Sieger.

Wie in Spanien Delgado und Induráin.

Heute sagt man, in Spanien sei der Radsport verschwunden. Das ist nicht wahr. Echte Radsportfans gibt es so viele wie immer. Wer verschwunden ist, sind alle diejenigen, die einem Idol hinterherlaufen.

Abraham Olano wurde letztes Jahr bei der Tour Vierter. Trotzdem reagierte die Öffentlichkeit in Spanien, als wäre er als Letzter ins Ziel gekommen.

Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem nur der erste Platz zählt. Das ist ein Unglück für den Fahrer, der Zweiter wird. Für Abraham ist das Unglück doppelt groß, denn er ist die Ablösung von Induráin, nicht der Nachfolger, denn Miguel ist unersetzbar. Olano wird es sehr schwer haben, solange er die Tour nicht gewinnt.

Wenn er 1997 trotz Krankheit Vierter wurde, was kann er erreichen, wenn er gesund ist?

Für mich sind drei Konstanten zentral, um die Tour zu gewinnen. Gesundheit, Glück und die Form. Diesmal haben wir die Vorbereitung so gestaltet, daß er mit Reserven zur Tour kommt. Olano wird eine gute Tour fahren.

Und Ullrich?

Der leistet sich den Luxus, nur einen Monat ernsthaft zu fahren. Alle anderen Rennen sind ihm egal. Für den Radsport hat das Nachteile. Wenn er nicht gewinnt, wird er hart kritisiert werden.

Und das vielkommentierte Übergewicht von Ullrich?

Ach, das ist die typische Literatur, die von der Presse produziert wird. Das Hochzeitskleid muß mir am Tag der Hochzeit passen und nicht im Januar.

Bei Banesto fehlen mit Garmendia und de las Cuevas zwei der besten Fahrer.

Das Gefühl zieht uns zur Tour, aber aus professioneller Verpflichtung müssen wir zur Spanien- Rundfahrt. Seit der Termin auf September verlegt wurde, waren unsere Auftritte dort eine einzige Katastrophe. Deswegen haben wir Garmendia von vornherein für die Vuelta vorbereitet.

Aber fehlen Olano dadurch bei der Tour nicht wichtige Helfer?

Nein, das sicher nicht. Außerdem gibt es da die traurige Erfahrung mit Armand de las Cuevas. Bei der Dauphiné Liberé und in Route du Sud war er unser Kapitän und hat gewonnen, aber wenn wir jetzt zur Tour fahren und er muß für die Mannschaft arbeiten, da haben wir unsere Zweifel. Auch Telekom kann dieses Problem bekommen. Das Herz, die Leute werden immer auf der Seite von Ullrich sein, aber es kann passieren, daß sie am Ende für Riis fahren müssen. Dann muß es eine klare Entscheidung geben. Das ist mir mit Induráin und Delgado so gegangen. Die Blicke, die dir beide Fahrer zuwerfen, sind nicht leicht auszuhalten.

Bedeutet die Einführung des Hämatokrit-Grenzwertes von 50 Prozent nicht die implizite Legalisierung von Dopingmitteln wie EPO?

Warum redet man, wenn man von Doping spricht, immer vom Radsport und umgekehrt? Für mich ist das alles vollkommen scheinheilig. Schon die Griechen haben bei den olympischen Spielen nach Hilfen gesucht, um ihre Leistung zu steigern. Es ist nicht das gleiche, ob ich 21 Tage auf dem Fahrrad sitze oder ob ich bei einem Spiel in Wimbledon Durst habe. Tennis, Fußball, das ist ein Spiel. Radrennen ist Sport. Natürlich dürfen die Ergebnisse nicht wichtiger werden als die Gesundheit der Fahrer, aber wenn ich da drei Maschinen habe, die Analysen machen, drei Ärzte, die sagen: kein Problem ...

Wie sehen Sie den Rücktritt von Miguel Induráin heute?

Das ist der Zyklus des Lebens, du steigst auf, bist ganz oben und am Ende geht es abwärts. Bei Induráin nicht mal das. Der ist einfach ausgestiegen. Er war eher psychisch ausgezehrt als physisch.

War der Abschied im Streit nach so vielen Jahren der Zusammenarbeit nicht schmerzhaft?

Miguel hatte einfach die Nase voll. Er hat gedacht, es ist egal, ob ich eine Tour mehr oder weniger gewinne. Diese Seite sehen die Leute nie. Da heißt es immer, der hat sich mit dem technischen Direktor überworfen. Aber vielleicht irre ich mich auch und Miguel kommt wirklich eines Tages zu mir und sagt: „Du bist ein Arschloch.“ Interview: Joachim Quandt