Verletzte politische Scham

■ Zum 30jährigen Jubiläum der Kunsthalle Bielefeld wird erneut um den Beinamen "Richard- Kaselowsky-Haus" gestritten. Der Oetker-Schwiegersohn gehörte zum Himmler-Freundeskreis

Der 27. September 1968 sollte eigentlich ein schöner Tag werden für Bielefeld. Die Eröffnung einer Halle für zeitgenössische Kunst war anberaumt. Für den designierten Leiter der Kunsthalle Bielefeld, Joachim von Moltke, war es wichtig, daß sich in der Kunsthalle „intensive Beziehungen zwischen Museum und Öffentlichkeit herstellen“. Doch die geplante Liaison von Demokratie, Bürgerpartizipation und moderner Kunst hatte einen Schönheitsfehler: Es war der Name, genauer, der zweite Name, der der Kunsthalle zugedacht war: „Richard-Kaselowsky-Haus“. 30 Jahre später macht er immer noch Probleme. So fordert die IG Medien den jetzigen Kunsthallenleiter Kellein auf, „den Namen Kaselowsky in und aus der Kunsthalle zu tilgen und zu verbannen“.

Wer war Kaselowsky? 1919 in die Familie des Bielefelder Puddingherstellers Oetker eingeheiratet, leitet Richard Kaselowsky das Unternehmen von 1925 bis zu seinem Tod 1944. Pünktlich zum Geburtstag Adolf Hitlers 1933 war er in die NSDAP eingetreten. Schon vorher pflegte er Verbindungen zum NS-Regime. Gauleiter Meyer schrieb 1941 in einem Grußwort zum 50jährigen Firmenjubiläum: „Es gab eine Zeit, da es nicht populär war, sich zur Partei zu bekennen. Damals schon tat es Euer Betriebsführer.“ Kaselowsky gab eine regionale Tageszeitung heraus, die vor antisozialistischer und antisemitischer Propaganda so strotzte, daß sie auch nach 1933 unter gleichem Namen und gleichem Herausgeber erscheinen konnte, weil da nichts gleichzuschalten war. 1939 findet sich Kaselowsky auf der Mitgliederliste des „Freundeskreises Reichsführer SS Heinrich Himmler“. Von 30.000 Unternehmern im Deutschen Reich gehörten nur 20 zum Freundeskreis, der die SS ideell und finanziell unterstützte. Kaselowsky saß im Aufsichtsrat der ebenfalls in den Nationalsozialismus verstrickten Deutschen Bank.

In den 60er Jahren zahlte Firmenpatriarch Rudolf-August Oetker elf Millionen Mark aus einer firmeneigenen Stiftung, mit denen der Bau der Kunsthalle erst möglich wurde. Allerdings gab es von Anfang an eine Bedingung: Die Kunsthalle sollte auch „Richard- Kaselowsky-Haus“ heißen.

Aus der pompös geplanten Einweihung der Kunsthalle wurde 1968 nichts. Der damalige Ministerpräsident Heinz Kühn sagte nach Bekanntwerden der Biographie ab. Statt der Uraufführung eines Konzerts für Klavier und Orchester fand nur eine „stille Eröffnung“ statt. Doch der Name blieb.

28 Jahre später, 1996, wurde Thomas Kellein neuer Leiter der Kunsthalle und teilte bald mit: „Das Verhältnis zum Hause Oetker hat sich beruhigt.“ Für Unruhe hatte Kelleins Vorgänger Ulrich Weisner gesorgt, weil er den Namen Kaselowsky still unter den Tisch fallen ließ. Auf Plakaten und Schriften war nur noch „Kunsthalle Bielefeld“ zu lesen. Zudem hatte Weisner es 1993 gewagt, eine vielbeachtete Picasso-Ausstellung zu präsentieren, deren Bilder Oetker als „obszön und senil“ und „für Frauen unzumutbar“ charakterisierte. Kellein, der sich in der Namensfrage nicht äußert, läßt nun auf allen Publikationen der Kunsthalle wieder den Namen Richard- Kaselowsky-Haus auftauchen.

Dieses Vorgehen rief abermals Kritiker auf den Plan. Das lokale Radioprojekt „Radiogruppe im AJZ“ produzierte einen Beitrag über den Namen, inklusive Biographie Kaselowskys – und wurde prompt zensiert. Dabei reserviert das NRW-Sondermodell eines Bürgerfunks im Privatradio Bürgerfunkgruppen eigentlich 15 Prozent der Sendezeit. Radio Bielefeld lehnte eine Ausstrahlung nach Rücksprache mit der Firma Oetker ab, wegen „unwahrer Tatsachenbehauptungen“. Sechs Wochen später gab es einen Rückzieher. Die Landesanstalt für Rundfunk konnte sich vor den Tatsachen nicht verschließen und verfügte die Ausstrahlung. „Letztlich erhielt das Thema durch die Zensurversuche noch viel mehr Aufmerksamkeit“, erklärt Klaus Möller von der Radiogruppe.

Unter den Kritikern befindet sich auch der Historiker Hans-Ulrich Wehler. Ende Juni trat er in der Universität Bielefeld vor 300 Zuhörern auf und forderte die Tilgung des Namens Kaselowsky. Dieser stelle für ihn einen „unverständlichen Ratsbeschluß“ dar und sei eine krasse Verletzung der politischen Scham. „Um die symbolische Bedeutung des Namens und nicht um die Person“ will er streiten. Während Banken und Konzerne damit begonnen haben, ihre Archive aus der NS-Zeit zu öffnen, um eine Kommunikation über Schuldfragen zu ermöglichen, verweigert sich das Oetker-Unternehmen. Der Name Kaselowsky gilt als positives Symbol erfolgreicher Firmengeschichte oder doch zumindest als Opfersymbol. Legitimiert wird das Opfersymbol Kaselowsky durch Artur Ladebeck, verfolgter Antifaschist während der NS-Zeit und SPD-Oberbürgermeister Bielefelds bis 1963. Ladebeck stimmte dem Kunsthallennamen bereits 1958 zu und erklärte Kaselowsky posthum zum Opfer, weil dieser durch Bomben der Alliierten ums Leben kam.

Strittig ist aber nicht nur der Name der Kunsthalle, sondern auch ihr Architekt Philip Johnson, der seinerseits eine nationalsozialistische Vergangenheit vorzuweisen hat: Johnson, das wurde durch seine vor kurzem veröffentlichte Biographie bekannt, gründete 1934 in den USA eine Nazipartei.

Zusätzliche Brisanz erhält der Konflikt durch die aktuellen Verhandlungen der finanzschwachen Stadt als Träger der Kunsthalle und zukünftigen Sponsoren, die weitere Ausstellungen erst ermöglichen sollen. Die Unternehmensstiftungen „Pro Bielefeld“ und „Oetker“ machen dabei, pünktlich zum 30jährigen Jubiläum und als wäre es wieder 1968, ihre finanziellen Zusagen vom Erhalt des Namens „Richard-Kaselowsky- Haus“ abhängig. Schon damals war Oetkers Spende verdächtig, mit dem Geld vor allem die symbolische Definitionsmacht zu sichern. Die Stadt kann sich nicht gegen den Namen sperren, ohne diese Sponsorengelder zu gefährden. Um so mehr Gewicht bekommen die Einwürfe einer kritischen Öffentlichkeit wie der Initiative „Leidenschaft für die Kunst“. Für diese muß nicht nur der Name Richard Kaselowsky aus der Kunsthalle gestrichen werden, mehr noch „soll und darf erst Ruhe in die Diskussion einkehren, wenn eine Kunstförderung ohne inhaltliche Einflußnahme der Sponsoren sichergestellt ist“. Manfred Horn