„Die alten Dinge sind immer die besseren“

Konservative Wende oder christlicher Pop? Kurz vor seinem Tod fertigte Andy Warhol 1987 eine großformatige Serie mit Drucken und Gemälden zu Leonardo da Vincis „Abendmahl“ an. Jetzt wird der ebenso ehrfürchtige wie ironische Zyklus in München ausgestellt  ■ Von Ulrich Clewing

Ratlosigkeit machte sich breit, als Andy Warhol kurz vor seinem Tod 1987 in Mailand Teile eines Werkzyklus von monumentalen Ausmaßen vorstellte: die auf Bestellung einer norditalienischen Bankgesellschaft entstandene, insgesamt 100 Gemälde, Zeichnungen und Siebdrucke umfassende, an Leonardo da Vincis berühmtes „Abendmahl“ angelehnte „Last Supper“-Serie. Hatte er das wirklich ernst gemeint? War Warhol auf seine alten Tage zum Katholizismus übergetreten? Oder hatte er, unter Auslassung jedweder moralischen Bedenken, seine Auftraggeber abgezockt, das Publikum verarscht und sich nicht zuletzt auch noch an einer Ikone der europäischen Kunstgeschichte vergriffen?

Die Zweifel an Warhols Unternehmen sind bis heute nicht ganz ausgeräumt, was unter anderem auch daran liegt, daß sein Abendmahl-Zyklus seither kaum gezeigt wurde. Zwar kamen seinerzeit – die Ausstellung fand passenderweise in einem Palazzo vis-à-vis des Klosters Santa Maria delle Grazie statt, des Standorts von Leonardos epochaler Wandmalerei – rund 5.000 Gäste zur Mailänder Eröffnung. Doch bald darauf verschwanden die Bilder in der Versenkung. Warhols von Erb- und sonstigen Streitereien geplagten Nachlaßverwaltern war das offenbar ganz recht, zumal zu befürchten stand, daß des Künstlers Ansehen und Marktwert möglicherweise Schaden nehmen würden.

Wenn nun die Münchner Staatsgalerie für Moderne Kunst mit 56 hervorragend gehängten Einzelarbeiten den bisher umfangreichsten Überblick über Warhols Abendmahl-Zyklus präsentiert, dann geht es also nicht um gesicherte kunsthistorische Werte, sondern um die Einordnung und Beurteilung eines Werkkomplexes, der, oberflächlich betrachtet, schon wegen des christlichen Sujets aus dem Rahmen fällt.

Andererseits: Die großen Themen – Geld, Macht, Tod, Ruhm und Vergänglichkeit – hatten Warhol schon immer interessiert. Und auch technisch gesehen unterschied sich die Arbeit am Abendmahl-Zyklus nicht von der Methode, die der gebürtige Tscheche sonst anwendete. Als Vorlage diente ihm nicht das Original im Refektorium von Santa Maria delle Grazie, vielmehr benutzte er eine Auswahl der zahllosen Reproduktionen, die von Leonardos „Abendmahl“ existieren. Sogar eine Kitsch-Skulptur als freie Umsetzung des Freskos ins Dreidimensionale ließ Warhol zur Weiterverwendung in sein New Yorker Atelier schaffen.

Ähnlich war der Künstler bei der Herstellung anderer bekannter Werke vorgegangen. Seiner „Marilyn“ lagen, ebenso wie allen übrigen Porträts von Jackie Kennedy bis Mao, massenhaft verfügbare Fotos zugrunde, das gleiche gilt etwa für die „Most Wanted Men“-Serie und die „Flowers“- Siebdrucke.

Dabei ging es Warhol nie um die Authentizität des Materials, sondern um die Art, wie solche Images durch die Medien in ein populäres Zeichen transformiert werden können. Das Triviale wurde bei Warhol wiederum in etwas Neues, Großartiges umgemünzt – vielleicht wäre selbst Marilyn Monroe längst vergessen, hätte Warhol sie nicht zur Ikone erhoben. Unsterblich geworden ist nicht die Schauspielerin, sondern das Bild, das man sich von ihr gemacht hat.

So behandelt auch die Abendmahl-Serie nicht das religiöse Motiv als solches. Die schier endlosen Wiederholungen in Gemälden wie dem fast zehn Meter breiten „Sixty Last Suppers“ oder dem gleich großen „The Last Supper (Christ 112 Times)“ erzählen nicht von Liturgie und Glauben, dafür um so mehr von der Bewunderung des Jüngeren für die Kunst des Älteren. Auf gar keinen Fall ging es Andy Warhol darum, die Einmaligkeit von Leonardos Werk in Frage zu stellen. Als er die Beschäftigung mit dem Abendmahl- Zyklus aufnahm, war die Restaurierung des Originals gerade in vollem Gang. Wie so viele andere Künstler wehrte sich Warhol vehement gegen die Pläne des italienischen Kultusministeriums. Auf die Frage, was er von dem Fortgang der Restaurierungsmaßnahmen hielt, antwortete er damals dem Corriere della Sera: „Ich weiß nur, daß es ein Fehler ist, das Abendmahl zu restaurieren: es ist unglaublich schön, so wie es ist! Die alten Dinge sind immer die besseren und sollten nicht verändert werden.“

Besonders deutlich wird die Hochachtung, die Warhol für Leonardos Leistung empfand, wenn man sich die Reihe von Pinselzeichnungen ansieht, in der er einzelne Figuren und Figurengruppen des „Cenacolo“ isoliert hat. Ein Künstler feiert hier den anderen. Unverhohlen begeisterte sich der „glatte“ Pop-art-Papst für die Emphase des bewegten Augenblicks, für die meisterhaften Kompositionen, aus denen sich Leonardos Bild zusammensetzt. Es mag schon sein, daß Warhol während seiner Arbeit religiöse Gefühle spürte. Seine Religion aber war und ist es immer geblieben: die Kunst.

Bis 27.9., Staatsgalerie moderner Kunst München im Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1. Der Katalog (148 Seiten, zahlreiche Abbildungen) kostet 39 Mark.