Versteckspiel im Museum of Jurassic Technology

■ Gefälschte Natur, echte Phänomene: Der US-Autor Lawrence Weschler läßt in „Mr. Wilsons Wunderkammer“ die Grenzen zwischen Kuriositätenkabinett und Phantasterei verschwimmen

„Nun, wie Sie sehen, sind wir ein kleines naturgeschichtliches Museum mit besonderem Akzent auf Kuriositäten und technischen Neuerungen. Uns liegt ganz entschieden daran, Dinge zu zeigen, an deren Ausstellung andere naturhistorische Museen anscheinend nicht interessiert sind.“

Schon in diesen Worten, mit denen der US-amerikanische Autor Lawrence Weschler seine Hauptfigur, den Museumsmann David Wilson, vorstellt, gibt er den Blick vor, den seine LeserInnen auch auf dessen Sammlung werfen sollen. Doch es stellt sich bald die Frage: Ist das Museum of Jurassic Technology (MJT) tatsächlich seit 1988 in einem ehemaligen Ladenlokal in Los Angeles installiert? Handelt es sich um eine fiktive Geschichte Weschlers, oder ist das Dargestellte dermaßen phantastisch, daß es der Fiktion entstammt?

Weschler berichtet von Kuriositäten, die das MJT in traditionellen Glas-Holz-Vitrinen mit effektvoller Beleuchtung und akustischer Erläuterung präsentiert wie in einem Naturkundemuseum. Wir folgen ihm dabei, wie er bei seinen Besuchen die exakten Herkunfts- und Funktionsbeschreibungen der Objekte liest. Die von diesen Texten ausgehende Faszination überträgt sich auf die Sammlung, die typische Objekte einer Wunderkammer umfaßt – etwa eine Fruchtsteinschnitzerei mit Kreuzigungsszene, wie sie im Mittelalter hoch geschätzt wurden. Dagegen scheint es sich bei einem Horn, das einer Frau aus dem Kopf wuchs, und einer relativ großen, mit einer unglaublichen Geschichte behafteten „Stinkameise“ um blanke Erfindungen zu handeln.

Weschler gibt seiner Recherche zwei Orientierungen: Im ersten Teil stellt er die Objekte, das Museum und seinen Gründer vor; später bringt er die Entstehung europäischer Wunderkammern mit der Kolonialzeit zusammen. Daß es sich bei diesem Verfahren der Kontextualisierung um eine zeitgenössische Kunstpraxis handelt, die schon in Galerien zu sehen war, wird nicht erwähnt. Zugleich bleibt die Darstellung des Museumsdirektors David Wilson ziemlich problematisch, wenn er schreibt: „Ich glaube, ich muß hier einiges über Wilson selbst sagen, über seine Erscheinung, denn die paßt haargenau zu seinem Museum. Ich habe ihn als Winzling beschrieben, obwohl äffchenhaft die bessere Bezeichnung wäre...“ Statt sich die Obsession des Sammlers vorzunehmen, driftet Weschler hier selbst ins bloß Exotische ab.

Die Wundergläubigkeit wurde, so Weschler, zeitgleich mit der Entdeckung Amerikas aktuell. Nach diesem Ereignis hielt man alles vorher Undenkbare bis in die einzelnen Bereiche der Wissenschaften hinein für möglich. Dies hat jedoch – und das verschweigt Weschler – seine Parallelen im heutigen Glauben an unentdeckte „technische Kontinente“ wie den Cyberspace oder die Gentechnik, nur mit dem Unterschied, daß die frühere Wundergläubigkeit zur Erhaltung der Macht des Herrschers diente, während sie heute der Entwicklung ökonomischer Macht dient.

Die Stärke von „Mr. Wilsons Wunderkammer“ indes besteht darin, das Museum in der Beschreibung neu zu inszenieren. So schürt Weschler Zweifel, ob man sich gerade einem echten gefälschten Naturphänomen (quasi wissenschaftlich) oder einem gefälschten echten Objekt (intentional didaktische Fälschung) in einem Roman gegenübersieht. Wie der Autor herausfindet, kommen tatsächlich „Hörner“ bei Menschen vor, und es existiert auch eine Ameise, die in ähnlicher Weise von einem Pilz befallen wird; außerdem gibt es einige Sammlungen, die als Vorläufer für das MJT gelten könnten. Doch im Gegensatz zu Museumsobjekten, bei denen jedes Detail auf die Echtheit des Ausgestellten verweist, wird die Täuschung bei Weschler zum Selbstzweck der Wahrnehmung, die letztlich den Autor bestätigt. Der entscheidende Unterschied etwa zu Jorge Luis Borges' „Fiktionen“ liegt allerdings darin, daß Weschlers Erzählung sich auf eine tatsächlich existierende Institution bezieht und deshalb auch deren Logik verpflichtet bleibt.

Ohne die begeisterte Aufnahme durch Paul Auster, Oliver Sacks und Art Spiegelman – wie es der Buchumschlag vermerkt – wäre Weschlers Buch wohl kaum so schnell ins Deutsche übersetzt worden. Es erscheint im Rahmen einer Buchreihe des Hanser Verlages, die sich mit Sammlungen beschäftigt. Übrigens hat das Museum of Jurassic Technology in Deutschland einen realen Ableger. Das Hagener Karl-Ernst-Osthaus-Museum, das historisch erste Museum für zeitgenössische Kunst, präsentiert eine in sich abgeschlossene Abteilung des Museum of Jurassic Technology. Im Angesicht einer Stinkameise oder eines menschlichen Horns können die BesucherInnen dort selbst entscheiden, wo der eigene Glaube an das Repräsentationssystem aufhört und wo die Wunder beginnen. Stefan Römer

Lawrence Weschler: „Mr. Wilsons Wunderkammer. Von aufgespießten Ameisen, gehörnten Menschen und anderen Wundern der jurassischen Technik“. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Enderwitz, Hanser Verlag, München 1998, 184 Seiten (mit Abbildungen), 34 DM