Oranier ohne Bowler-Hüte

Ian und Gary sind zwei der Belagerer der nordirischen Stadt Portadown. Sie sind dem Oranier-Orden mit 18 beigetreten – wie schon ihre Väter und Großväter  ■ Aus Portadown Ralf Sotscheck

Seinen Nachnamen will Ian nicht verraten. „Ich arbeite bei der Regierung“, sagt er vage, „und wir Oranier sind in Nordirland zur Zeit nicht wohlgelitten. Nenn mich einfach Klinsmann.“ Ian ist 27, er ist noch ein „Junior Orangeman“, das ist man bis 35. Er ist groß und dünn, seine braunen Haare lichten sich am Hinterkopf. Die breite Schärpe, die er trägt, ist orange, denn der Namensgeber des Oranier-Ordens, Wilhelm von Oranien, heißt auf englisch William of Orange.

An die Schärpe hat Ian eine kleine silberne Figur geheftet, die auf einem Pferd sitzt. King Billy, wie Wilhelm von seinen Anhängern liebevoll genannt wird, soll am 12. Juli 1690 auf einem Schimmel in die Schlacht am Boyne geritten sein, in der er seinen katholischen Schwiegervater Jakob II. besiegt hat. Weil „The Twelfth“, der wichtigste Feiertag der nordirischen Protestanten, in diesem Jahr auf einen Sonntag fiel, finden die meisten Umzüge erst heute statt. Strenggläubige Protestanten marschieren sonntags nicht.

Ausnahme ist die Parade von Portadown zum Gedenken an die Schlacht an der Somme – sie findet traditionell am ersten Sonntag im Juli statt. Ein paar tausend Oranier sind vor acht Tagen vom Stadtzentrum zur Kirche nach Drumcree marschiert, und nach dem Gottesdienst wollten sie durch die Garvaghy Road zurück in die Innenstadt. Doch Polizei und Armee hatten die Straße versperrt.

„Es würde nur eine Viertelstunde dauern“, sagt Ian. „Seit 191 Jahren geht die Parade durch die Garvaghy Road.“ Früher war das Viertel allerdings gemischt, heute leben nur noch Katholiken dort, und die empfinden die Parade als Provokation. Eine Regierungskommission hat den Marsch deshalb verboten. Seitdem lagern ein paar hundert Oranier vor der Barrikade und wollen so lange bleiben, bis sie marschieren dürfen. Manchmal, wenn eine andere Loge ihre Parade – insgesamt gibt es zwischen Mai und Oktober aus allerlei Gedenkanlässen 3.000 davon – aus Solidarität nach Drumcree umleitet, schwillt die Menge auf 5.000 Menschen an.

Sie übernachten in Autos und in Zelten, über die sie den Union Jack oder die nordirische Fahne gespannt haben, auf Schildern vor den Zelten ist die Logennummer aufgemalt. Wer kein Auto und kein Zelt hat, kommt in der großen Markise unter, wo es wenigstens trocken ist in diesem feuchten Juli. Manche haben Blechtonnen mitgebracht, in denen sie ein Feuer anzünden. An Imbißständen kann man sich verpflegen, protestantische Anwohner kommen ab und zu mit belegten Broten und heißem Tee vorbei.

Auf der anderen Seite, hinter der Stahlbarrikade und dem Stacheldraht, spielen die Polizisten der nordirischen RUC, der überwiegend protestantischen Royal Ulster Constabulary, gegen die britischen Soldaten Fußball.

Doch abends, wenn es dunkel ist, gehen die Krawalle los. Steine, Flaschen und Sprengsätze werden über die Barrikade geschleudert, die Sicherheitskräfte feuern Plastikgeschosse. Die britische Regierung hat am Freitag dasselbe Fallschirmjäger-Regiment in Drumcree stationiert, das 1972 in Derry 14 unbewaffnete katholische Bürgerrechtsdemonstranten ermordet hat. Die Oranier haben den britischen Premierminister Tony Blair davor gewarnt, Drumcree zu seinem „Bloody Sunday“ zu machen.

„Der Orden“, sagt Ian, stellvertretender Großmeister der Oranier-Loge Nummer 491 aus Ballymena, „ist gegen Gewalt, aber er kann die Jugendlichen nicht kontrollieren.“ Zum Beispiel den jungen Mann, der einen Union Jack hochhält und den Soldaten zuruft: „Für diese Fahne habt ihr auf den Falklands gekämpft. Ihr werdet hier kämpfen und sterben.“

Ian trägt ein kariertes Hemd und Jeans, keinen schwarzen Anzug wie die älteren Oranier, und erst recht nicht den traditionellen Bowler-Hut aus Kaninchenfell. Sein Vater, sein Großvater und auch sein Urgroßvater waren in der Loge. Ian trat mit 18 ein. „Es ist Ausdruck meiner persönlichen Ansicht über religiöse und politische Angelegenheiten“, sagt er, und es klingt, als ob er es aus dem „Kleinen Katechismus für junge Oranier“ abgelesen hat, einem kleinen dunkelroten Heft mit Antworten für die meisten Lebenslagen.

Ians Freund Gary Greer ist auch 27, beide waren noch nicht geboren, als der Nordirland-Konflikt Ende der sechziger Jahre ausbrach. „Den Frieden haben wir bisher nicht kennengelernt“, sagt Gary. Auch er hat einige Anstecknadeln an seiner orangenen Schärpe befestigt: eine Krone als „Ausdruck meiner Loyalität zum Königshaus“, ein aufgeschlagenes Buch „als Symbol für die Heilige Schrift“ und eine Medaille mit der Gravur: „Die Belagerung von Drumcree 1995“.

Auch damals standen die Oranier den Polizisten, von denen viele selbst dem Oranier-Orden angehören, ebenfalls tagelang gegenüber. Dann entschied der Polizeichef, die Oranier marschieren zu lassen.

„Die Parade ist völlig unwichtig“, sagt Gary, „es geht hier ums Prinzip. Kompromiß? Wir haben bisher immer nachgegeben, bekommen haben wir nichts. Es gab Zeiten, da fanden in Portadown zehn Paraden im Jahr statt. Davon ist uns nur noch diese eine geblieben.“ Gary ist ein gemütlicher, untersetzter junger Mann. Er ist im Orden, seit er 18 ist, genau wie der Vater und der Großvater. Gary ist Lehrer an einem Gymnasium auf dem Land: „Es ist eine gemischte Schule, vierzig Prozent sind Katholiken. Natürlich gibt es Spannungen, vor allem im Sommer während der Marschsaison. Aber wir sind sehr vorsichtig, die Gegend ist überwiegend katholisch, an den Laternen wehen irische Trikoloren, die Kinder spielen gälischen Fußball oder Hurling.“

Gary glaubt, die Parade müsse durchgelassen werden, um den Frieden zu bewahren: „Andernfalls verliert der Orden an Respekt und Einfluß, und dann kracht es. Viele würden glauben, daß man mit Gewalt mehr erreichen kann als mit den friedlichen Mitteln des Ordens – besonders die Jugendlichen ohne Ausbildung, ohne Job und ohne Selbstwertgefühl. Sie benutzen Gelegenheiten wie Drumcree, um Ärger zu machen.“ Die Bilanz der vergangenen Woche: vier Tote, 600 Angriffe auf die Polizei, mehr als 50 verletzte Beamte, 20 Schießereien, 30 Bombenanschläge, 250 beschädigte Gebäude – vor allem Wohnhäuser und Geschäfte von Katholiken, die aus protestantischen Vierteln vertrieben werden sollten.

Es ist keine spontane Gewalt. Die Aktionen sind von militanten Oranier-Dissidenten, die sich „Spirit of Drumcree“ nennen, und von Mitgliedern der protestantischen Milizen koordiniert, obwohl die eigentlich im Waffenstillstand sind. Unter Phantasienamen wie „Portadown Action Command“ geben sie Warnungen heraus: „Jeder Fahrer eines Autos, der Waren irgendwelcher Art zur Garvaghy Road transportiert, wird standrechtlich erschossen.“ Man will die Anwohner aushungern, bis sie einwilligen, die Oranier durch die Straße paradieren zu lassen.

Waren Ian und Gary selbst mal an einem Punkt, wo sie zur Waffe greifen wollten? „Die Gewalt auf beiden Seiten hängt stark mit den ökonomischen Verhältnissen zusammen, der Konflikt spielt sich vor allem in den Vierteln mit hoher Arbeitslosigkeit ab“, sagt Ian. „Ich hatte Glück. Ich komme zwar aus einem Arbeiterviertel, aber mein Vater hatte stets einen Job.“

Garys Familie hatte früher in einer gemischten Siedlung gewohnt, sein Vater war Gemeindearbeiter und hat Discos und Sportveranstaltungen für die Kinder organisiert. „Dann zogen immer mehr Katholiken ein, und bald gab man uns mit Wandschmierereien zu verstehen, daß wir nicht mehr erwünscht waren. Wir zogen weg. Vielleicht gäbe es keine Gewalt mehr, wenn alle Leute Jobs hätten. Auf nationalistischer Seite gibt es viel Armut und miserable Wohnbedingungen, aber auf protestantischer Seite ist das nicht anders.“

Eine Gruppe von Kindern, zehn, elf Jahre alt, kommt über die Wiese gelaufen. „Ian Paisley ist gekommen“, rufen sie aufgeregt, als ob ein Popstar dem kleinen Ort einen Besuch abgestattet hätte. Der radikale Presbyterianerpfarrer und Chef der „Democratic Unionist Party“, die das Friedensabkommen ablehnt, ein großer, kräftiger Mann mit dröhnender Kanzelstimme, ist im Nu umringt, und er sagt den Leuten, was sie hören wollen: „Die Oranier werden die Garvaghy Road entlangmarschieren, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Es war eine dumme Entscheidung, die Parade zu verbieten. Und deshalb sollte man sie so schnell wie möglich durchlassen, damit die Sache ein Ende hat.“ Der Applaus ist ihm sicher.

Gary klatscht nicht. „Leute wie Paisley nutzen uns aus“, sagt er. „Elf Monate im Jahr scheren sie sich nicht um die Oranier, und jetzt versuchen sie, politisches Kapital aus Drumcree zu schlagen. Sie wollen das britisch-irische Abkommen und das gerade gewählte Regionalparlament zu Fall bringen. Aber sie bieten keine Alternativen an.“ Deshalb habe er, im Gegensatz zu Ian, beim Referendum für das Abkommen gestimmt. „Ich dachte, man müßte mal etwas Neues probieren. Wenn das Abkommen scheitert, dann scheitert es eben. Aber ich finde es falsch, es von vornherein zu sabotieren.“ Inzwischen hat er Bedenken.

Gary fühlt sich von den Politikern im Stich gelassen: „Mit ihrer Politik schreiben sie die religiöse Trennung bis auf alle Ewigkeit fort. Es gibt keine linken oder rechten Parteien, sondern nur katholische oder protestantische. Vielleicht müssen wir zuerst die Klassenpolitik wiederentdecken, bevor wir unseren Konflikt lösen.“

Lebte er in England, würde er Labour wählen, aber in Nordirland tritt die Partei nicht an. „Sie haben hier ihre Schwesterpartei, die SDLP, doch das sind Nationalisten, und die kann ich nicht wählen.“ Wenn er darüber nachdenke, sagt Gary, könne er Tony Blair aber auch nicht mehr wählen. Immerhin habe der die Parade verboten.

Am Wochenende schickte die britische Regierung Mittelsmänner, die Oraniern und Bewohnern der Garvaghy Road bei indirekten Verhandlungen als jeweilige Sprachrohre dienen sollen. Direkte Gespräche hat der Orden abgelehnt, weil der Sprecher der Anwohner, Breandan Mac Cionnaith, 1983 wegen Waffenbesitzes zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Er ist zwar von den Anwohnern mit großer Mehrheit als Sprecher gewählt, aber Gerüchte besagen, daß eine Reihe von Familien weggezogen ist, weil sie mit Mac Cionnaith nicht einverstanden waren.

Gibt es keine Einigung, dann werden alle Mitglieder des Oranier-Ordens nach ihren Paraden zum „Twelfth“ heute abend nach Drumcree ziehen, hat ein Oranier prophezeit. Das wären 100.000 Mann, und sie wollen die Provinz zum Stillstand bringen.

„Die von der Garvaghy Road, das sind Extremisten“, sagt Gary. „Ich habe kein Problem mit normalen Katholiken.“ Aber ist der Haß auf Katholiken nicht die Klammer, die die Mitglieder des 1795 gegründeten Ordens trotz verschiedener politischer Richtungen verbindet, und wird man nicht ausgeschlossen, wenn man eine Katholikin heiratet? „Es gibt bestimmte Einschränkungen bei den persönlichen Beziehungen“, gibt Ian zu, „aber der Orden fördert die Freundschaft mit Katholiken.“